Die letzte öffentliche Lesung von Michail Kusmin im Leningrader Institut für die Geschichte der
Künste sorgte für Furore: Alle Beteiligten wussten dass es für lange Zeit eine der letzten
zensurfreien Literaturveranstaltungen bleiben würde. Kusmin las aus dem Manuskript des
Gedichtbands Die Forelle bricht das Eis der nicht nur als Höhepunkt seines Schaffens gilt
sondern auch ein Schlüsselwerk der Dichtung des 20. Jahrhunderts darstellt. Die beiden Zyklen
aus jenem Band die nun unter einem neuen Titel erstmals dem deutschsprachigen Publikum
vorgestellt werden - 'Die Forelle bricht das Eis' und 'Lazarus' - weisen die zentralen
Merkmale seines Werks auf: das Spiel mit der Weltkultur antike und biblische Motive breite
Assoziationsräume und schwindelerregende Sprünge zwischen den Epochen. Daneben lässt sich der
Einfluss des deutschen Expressionismus beobachten: In beiden Zyklen werden mit Techniken des
expressionistischen Films Geschichten erzählt die teils mystische teils krimiartige Züge
haben - ein verhängnisvolles 'Liebesfünfeck' unter Beteiligung von drei Geschwistern in
'Lazarus' und der Verlust eines Geliebten an eine Frau in der 'Forelle'. Michail Kusmins
offene Thematisierung gleichgeschlechtlicher Liebe machte ihn zu einem Wegbereiter der modernen
queeren Literatur. Mit seinen Gedichten durchstieß er auf wundersame Weise die Mauer der Zensur
bevor sich das Eis der Unterdrückung verdichtete und ein langer Winter anbrach.