Die Religionsschrift löste nicht nur einen langwierigen Streit mit der Zensur aus sondern gab
- wie Kant ebenso schnell wie überrascht feststellen musste - seinen Zeitgenossen »viel Anlaß
zu reden«. Zu keiner Publikation Kants erschienen in so kurzer Zeit so viele Beiträge und
Rezensionen wie zu seinen religionsphilosophischen Thesen. Schon allein die Tatsache dass es
sich um die erste große Publikation Kants nach den drei Kritiken handelt weist darauf hin
dass Kant mehr beabsichtigt hat als eine Gelegenheitsschrift. Er selbst kündigte seine
»Philosophische Religionslehre« als Übergang von der Kritik zur Doktrin an und verstand sie
genau damit auch ausdrücklich als Antwort auf die Frage: »Was darf ich hoffen?«? Die
entscheidende philosophische Frage mehr als 200 Jahre nach dem Erscheinen der Religionsschrift
dürfte sein: Traf Kant mit der Theorie des Radikalen Bösen der Kirchenkritik dem eigenen
religiösen Gesellschaftsentwurf und nicht zuletzt der »Philosophischen Religionslehre« selbst
nur den Nerv der Zeit? Oder trifft er mit der so wenig schmeichelhaften Diagnose menschlicher
Fehlleistungen den Menschen überhaupt und jederzeit an einer derart empfindlichen Stelle seines
Selbstverständnisses dass die Religionsschrift den Widerspruch geradezu provoziert? Die hier
vorgelegte Ausgabe der Religionsschrift ist eine vollständige Neuedition auf der Grundlage der
B-Auflage von 1794. Die Ausgabe verzeichnet die Paginierungen der B-Auflage und der
Akademie-Ausgabe ebenso wie die wichtigsten Varianten der A-Auflage und Handschriften
Konjekturen und Textrevisionen sowie wesentliche Lesarten früherer Editionen. Das
Schwergewicht der Ausgabe liegt neben der Bereitstellung eines verläßlichen Textes auf dem
Nachweis zeitgeschichtlicher Bezüge. Neben einer Einleitung Informationen zur Textgeschichte
zum Zensurstreit und der zeitgenössischen Rezeption sowie Anmerkungen zum Textverständnis und
der Quellenlage enthält sie neue Sach- und Namensregister sowie ein umfangreiches Register der
von Kant direkt und indirekt zitierten Bibelstellen. In der zweiten Auflage sind gegenüber der
ersten zahlreiche Druckfehler korrigiert.