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Schillernd und fremd lässt sich Radikalität zu allen Zeiten und in allen Kulturen mit ihrem
Hang zum Unbedingten beobachten. Fast immer wirkt sie anstößig und beschämend wenn auch in
Philosophie und Kunst seltener als in Religion Politik Gesellschaft. Attraktiv bleibt sie
weil sie etwas Essentielles verspricht: die Schließung des mitunter feinen Risses zwischen
Theorie und Praxis als Versprechen der eigenen Unerpressbarkeit. Diesem Riss und seinen
unerhörten Auswirkungen geht der erste Band von Mirjam Schaubs großem kulturphilosophischem
Entwurf nach. Das Buch entführt in die griechische Antike als ein Theoretiker noch ein
fahrender Kulturbotschafter im Mittelmeerraum und eben kein Philosoph ist. Es fragt nach dem
Selbstmord des Sokrates und warum dessen Radikalität zugleich eine Wunde schlägt die
Aristoteles meint heilen zu müssen. Um Nachahmung zu unterbinden und zugleich der Philosophie
eine Zukunft zu eröffnen erfindet Aristoteles die Theorie-Praxis-Lücke indem er Idee und Tat
ein Stück weit auseinanderrückt. Diogenes von Sinope aber rebelliert mit drastischen Mitteln
gegen diesen heilsamen Schachzug. Er stiftet soziale Unruhe sorgt für helle Empörung indem er
hedonistische wie asketische Praktiken in aller Öffentlichkeit propagiert. Unfähig dieses
grelle ¿Und¿ aus Askese und Hedonismus auszuhalten zersplittert das radikale kynische Erbe
und teilt sich folgt man Michel Foucault auf in Karneval Mönchtum und Kunst. Diesem
Vorschlag geht das Buch nach. In Venedig eröffnet sich mit der ersten europäischen Pest ab 1348
der Gebrauch einer anonymisierenden Maske: Wer seine Komplizen nicht kennt kann niemanden
verraten. Eine solch selbstironische ¿Teilzeitradikalität¿ setzt auf Selbstdistanzierung
unpersönliche Formen der Interaktion und auf ein Vertrauen das absichtlich blind ist. Der
zweite Band bricht mit der Vorstellung Populärkultur und Radikalität seien Gegensätze.
Spätestens mit Jeremy Benthams ¿Auto-Icon¿ (1832) dem humanoiden Artefakt das bis heute im
University College of London sitzt später bei Max Stirner der Bewegung um 1968 und bei Marina
Abramovi¿ verbinden sich Radikalität und Populärkultur und stiften eine radikal neue Form von
Egalität. Das schlägt sich nieder in einem ubiquitären Gebrauch der bislang kaum erforscht
ist. Dieser queere und unorthodoxe Gebrauch des eigenen Körpers und Lebens lässt sich weder als
Handlung noch als Mittel-Zweck-Relation noch als Nutzenkalkül beschreiben. Spätestens mit der
Konjunktur von Krypto-Währungen gerät er zum radikalen Angelpunkt um das Denken in
Besitzkategorien auszuhebeln: Radikaler Gebrauch erscheint plötzlich schützenswerter als einst
der Besitz. Das Buch verfolgt den unbedingten Selbstgebrauch in Politik Kunst und
Populärkultur von der Stadtguerilla über radikale Kunstprojekte bis hin zu NFTs Hackern wie
dem Anonymous-Kollektiv und den Aktivistinnen und Aktivisten der 'Letzten Generation'. Es
enthält und analysiert auch einen bisher unbekannten Kassiber den Gudrun Ensslin 1969 aus der
Haft schmuggeln ließ. Radikalität erweist sich in der künstlichen Herstellung von Gleichheit
unter Ungleichen - ungleich an Talenten Chancen Mitteln - als wirksames soziales Korrektiv.
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