Die meisten gewaltsamen Konflikte zwischen sozialen Gruppen thematisieren neben politischen
wirtschaftlichen sowie kulturellen Aspekten auch Differenzen bezüglich der ideologischen und
religiösen Deutung der Welt. Die existentielle Dimension bestimmter Formen ideologischen
Denkens hat daher in der Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher gewaltsamer
Konfliktkonstellationen hervorgebracht und spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade
Center eine neue Aktualität gewonnen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor diesem
Hintergrund mit der Theoretisierung und Erklärung gewalttätigen Handelns an Beispielen dreier
neuer religiöser Bewegungen der 90er Jahre. Anhand der Gruppen Aum Shinrikyo dem Orden des
Sonnentempels sowie der Bewegung Heaven's Gate wird der Entstehungskontext gewalttätiger
Episoden und Verhaltensmuster untersucht wobei der Fokus bei der Beantwortung der Frage nach
den Ursachen der Gewalt maßgeblich auf der Interaktion von gruppeninternen und externen
Faktoren liegt. In diesem Zusammenhang sind die von Mitgliedern sozialer Gruppen artikulierten
kultivierten und zur Handlungsmaxime erklärten kollektiven Haltungen und Einstellungen im
Umgang mit dem jeweils kulturell Andersartigen maßgeblich für die emotionale Aufladung
kultureller Unterschiede und Konflikte verantwortlich und manifestieren sich nicht selten in
Form von Feindbildern die den Abbruch kommunikativer deeskalierender Prozesse im Fall eines
Konfliktes zwischen marginalen religiösen Gruppen und der hegemonialen Ordnung wahrscheinlicher
machen. Die Vorstufen gewaltsamer Eskalation beginnen somit nicht erst dort wo es Verletzte
und Tote zu beklagen gibt sondern bereits erheblich früher unmerklich und in der Mitte der
Gesellschaft. Das was wir als manifeste Gewalt wahrnehmen ist dabei zumeist die letzte Stufe
eines langwierigen Zuspitzungsprozesses und wie so viele gesellschaftliche Entwicklungen
hausgemacht und nicht zwingend unabwendbar. Eine Absicht dieser Arbeit besteht im Hinblick auf
die populäre Auffassung einer intrinsischen Beziehung zwischen Gewalt und neuen religiösen
Bewegungen in der Betonung der besonderen Bedeutung des gesellschaftlichen Klimas bei der
Entstehung von Konfliktkonstellationen und eskalierenden Dynamiken. Die Beschäftigung mit
Gewalt im Kontext marginaler religiöser Gruppen lässt darüber hinaus einige generalisierende
Schlüsse über die allgemeinen kausalen Bedingungen bezüglich der Entstehung von Gewalt sowie im
Hinblick darauf zu wie sich die Vorstufen der Gewalt frühzeitig erkennen und die Entstehung
gewaltsamer Konflikte verhindern lassen. In diesem Sinne kann die hier vorliegende Arbeit als
eine Vorarbeit für die Entwicklung geeigneter deeskalativer Strategien aufgefasst werden die
indirekt nicht nur die Frage erörtern soll welche Gruppen unter welchen Umständen in der
Zukunft Zuflucht zur Gewalt nehmen könnten sondern den Leser grundsätzlich in den
Themenbereich einführen und die Sensibilität für die interaktive Dynamik gewaltsamer
Eskalationsprozesse schärfen soll.