Der englische Dirigent und Komponist Howard Arman hat eine Vervollständigung des Requiems von
Mozart vorgelegt. Noch eine Fassung? mag man denken sind doch neben der traditionellen
Süßmayr-Fassung inzwischen eine ganze Reihe weiterer Versionen erhältlich. Doch trägt Mozarts
Fragment ein solch immenses Potenzial in sich dass die Herausforderung und der Reiz es zu
vervollständigen ungebrochen sind. Nach zwei Jahrzehnten intensiver Beschäftigung mit dem Werk
hat Howard Arman seine Erkenntnisse mit Behutsamkeit und Respekt vor Mozarts großer Vorlage in
seine Vervollständigung einfließen lassen. Die Ausgabe bietet zunächst eine kritische Edition
der ersten beiden Sätze (Introitus und Kyrie-Fuge) von denen Mozart noch eine fertige Partitur
hinterlassen hatte. Den eigentlichen Kern bildet die Vervollständigung des nur fragmentarisch
überlieferten Mittelteils (Dies-irae-Sequenz und Offertorium). Armans Herangehensweise erweist
sich hier als besonders fruchtbar. Er orientiert sich - stets im Bewusstsein der Grenzen des
eigenen nachschöpferischen Tuns - an den typischen Merkmalen der genialen Komponierweise
Mozarts: an seiner satztechnischen Perfektion seiner Suche nach immer neuen Wegen für jede
Situation bis hin zu der für Mozart so typischen äußerst knappen Behandlung des Textes bei
extrem bildreicher Harmonik. Im Ergebnis führt das zu manch neuen Hör-Erlebnissen. Im Tuba
mirum etwa herrscht ein warmer geschlossener Ensembleklang unterstützt durch die Loslösung
der Fagotte vom Bassfundament. Ganz anders im Confutatis: Selbst die Bassetthörner werden hier
in infernalische Tiefen hinabgezogen. Bekräftigt wird diese Wirkung wenn die Posaunen hier
nicht parallel zu den Chorstimmen sondern selbstständig geführt werden sodass ihr
spezifischer Klang besonders zur Geltung kommen kann. Armans Lacrimosa wirkt lebendig indem
die Stimmen nicht schablonenhaft sondern mit einer gewissen Freiheit fortsetzt werden und
dadurch an Mozartnähe gewinnen. Arman beschließt den Satz mit einer Amen-Fuge. Dabei liegt sein
Fokus nicht so sehr auf der Kontrapunktik selbst als vielmehr - ganz im Sinne Mozarts - auf
einer Dramaturgie einer Entwicklung in deren Verlauf das Thema in allen möglichen Facetten
ausgeleuchtet wird. Für die vier folgenden Sätze zu denen uns nichts mehr von Mozart vorliegt
(Sanctus bis Communio) greift die Ausgabe schließlich auf die Süßmayr-Fassung zurück. Da wo
Mozart schweigt da lässt Arman Süßmayr den Vortritt. Süßmayr war derjenige der Mozart am
nächsten war als diese komplette Leerstelle entstand und dessen Arbeit dementsprechend noch
heute zuwürdigen ist. Armans Fassung hat sich in der Praxis bereits bewährt. Die Uraufführung
mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks wurde von Publikum und Presse begeistert aufgenommen -
und gefeiert als wissenschaftlich fundierte ganz neue Sicht auf Mozarts Meisterwerk.