Der Evangelist schwelgt. Tenöre trauen sich oft was. Sie sind vielleicht noch vor den
Sopranistinnen die Sänger mit dem größten Selbstvertrauen. Viel tausend Wunder winken
verspricht Peter Schreier schon im Eröffnungstitel dieser ungewöhnlichen Sammlung. Da kommt
gespannte Erwartungshaltung auf. Und schon danach wird ein kleines Chopinstück mit dem so
manch ein mitteltalentierter Klavierschüler die Verwandtschaft verzückte bearbeitet und mit
dem Text von Ernst Marischka versehen. In den 1930ern war es ein Herzstück aus dem
Musiker-Melodram mit dem klingenden Namen „Abschiedswalzer“. Und was man mit Chopins Etüde
anstellen kann wie man diesen Kitsch mit großer Stimme veredelt dass zeigt Schreier und dazu
braucht es unbedingt Tenor-Selbstvertrauen. Spätestens bei Granada schunkelt man sanft mit
und freut sich schlicht über diese unterhaltsame Geschmacksverirrung. Das Große
Rundfunkorchester Berlin unter Robert Hanell schwingt die Kastagnetten und betört auch sonst
mit leinwandbreitem Sound in dem man sich treiben lassen kann. Es muss nicht immer Bayreuth
sein! Schön singt man auch beim Anblick der Sierra Nevada. Und wer nimmt diese hohen Töne sonst
so wunderbar? Schreier hat diese bunte Tüte nicht erst zum Abschied oder Ende seiner Karriere
aufgenommen sondern mittendrin. Zwei Jahre nach seinem Hit Peter Schreier singt
Weihnachtslieder dem erfolgreichsten Klassik-Tonträger der DDR versucht sich der Sänger
erneut an populärem Material und mixt offensichtlich seine Favoriten aus dem nicht ganz so
ernsten Repertoire zusammen. Operette klingende Bearbeitungen bekannter Melodien
Opernhighlights einfach gesagt: Romantische Schmachtfetzen denen man in dieser Interpretation
gern verfällt um sich danach vielleicht verschämt die Ohren mit schlichtem Barock
auszuwaschen. Aber warum eigentlich? Es hat neben dem unbestrittenen Unterhaltungswert
durchaus auch einen Neuheitswert den ehemaligen Knabenalt aus dem Kreuzchor einen umwerfenden
Kalman (Grüß mir die Süßen die reizenden Frauen) singen zu hören ihn in kleinen Liedperlen
(Frühlingszeit) vom lyrischen Sänger zum strahlenden Helden aufsteigen zu sehen. Es ist ein
bisschen so als würde man dem ernsten und einmaligen Bach-Evangelisten beim liebsten geheimen
Hobby (Vaghissima Sembianza) zuzuhören. Anders als viele Tenöre seiner Ära weiß Schreier
nämlich genau was seine Stimme kann und was nicht. Und auch wann es Zeit ist aufzuhören so
sprach der Tenor bei seinem Karriereende 2005: »Es ist im Alter schwieriger einen Ruf zu
verteidigen und ich möchte nicht dass die Leute irgendwann sagen: Das hätte er mal besser
gelassen.« Jeder kann selbst entscheiden welches Stücke in dieser Sammlung er als kleine
Wunder verbucht und welche Schreier besser gelassen hätte. Aber nach vielen Momenten in
denen die auch in höchster Höhe weich pulsierende Stimme Schreiers hier in ganz neuen
musikalischen Landschaften erklingt kann man sagen: Gut dass es dieses Dokument aus dem Jahre
1977 gibt!