Die Geschichte der Philologien kann nicht von der Geschichte der Literaturen getrennt werden:
Dichtung bezieht sich immer auf Traditionen. Diese existieren aufgrund ihrer Konstitution
ihrer Bewahrung ihrer Kritik ihrer Interpretation - aufgrund der klassischen Tätigkeiten von
Philologie bzw. Literaturwissenschaft. Der poeta philologus ist ein aufschlussreicher
Sonderfall für diesen Befund der aber auch darüber hinaus Geltung beanspruchen kann. Der Band
widmet sich der Lage des Dichterphilologen im 19. Jahrhundert. Seine Situation ist ambivalent.
Innerhalb von Kulturen und Gesellschaften die ihre ästhetischen didaktischen und politischen
Ambitionen durch einen Rückgang auf die Geschichte legitimieren gewinnt der poeta philologus
eine herausragende Bedeutung: Er verfügt als Philologe über das Vergangene um es als Dichter
wirkungsmächtig in die Öffentlichkeit zu geben. Gleichzeitig aber ist seine Doppelrolle seit
den ästhetisch-poetischen Entwicklungen vom späten 18. Jahrhundert an gefährdet: Droht nicht
die Gelehrsamkeit die Fähigkeit zur Dichtung abzutöten? Der Dichterphilologe ist eine
Schwellenfigur zur Moderne: Er versucht noch einmal die Sehnsucht nach dem Vergangenen in
gegenwärtiges Leben umzuwandeln das sich multiplizierende historische Wissen in die Präsenz
gegenwärtiger Dichtung zu bannen. Die Beiträge beschränken sich nicht auf eine
Nationalphilologie. In exemplarischen Studien zu Dichterphilologen unterschiedlicher Länder und
Literaturen wird deutlich dass der poeta philologus ein europäisches Phänomen ist.