Die »Économie libidinale« ist das frühe Hauptwerk Lyotards und zugleich seine problematischste
Schrift. Erschienen 1974 blieb das Buch trotz einer ersten deutschen Ausgabe (1984) in
Deutschland nachhaltig unbeachtet obgleich es einen Meilenstein nicht nur in Lyotards
Philosophie darstellt: ein »Buch der Krise« das seine Abkehr von lange vertretenen Positionen
innerhalb der Gruppe »Socialisme ou barbarie« und seinen Bruch mit dem Marxismus markiert.
Dieser Bruch spiegelt sich in einem im akademischen Bereich ungewohnten javöllig deplazierten
Ton wider: als »bösartig« als »livre méchant« charakterisierte Lyotard es selbst.Seine scharfe
Kritik an den Marxisten mündet in eine Theorie der Leidenschaften die das Theoretische im
Sinne begrifflicher Festlegung auf beinahe selbstzerstörerische Art meidet in eine unerhörte
ja skandalöse Verteidigung des libidinösen Austauschs über alle Grenzen hinweg.Dem Leser
entfaltet sich ein monumental zerrissener Text der es darzustellen unternimmt daß die
Leidenschaften in der politischen Ökonomie und das Politische in den Leidenschaften zu finden
sind und der gleichzeitig versucht sich durch seine Schreibweise hartnäckig einer Festlegung
zu entziehen einer Trennung von libidinöser und politischer Ökonomie auch begrifflich nicht
gerecht zu werden. Die nahezu aggressiv wuchernde Vervielfältigung von Stilen und Schreibweisen
öffnet den Text den unterschiedlichsten miteinander konkurrierenden Lesarten und
Anwendungsformen: Ein Text als große Haut- Fläche als auseinandergeklappt-umgestülpt
daliegender Körper als pellicule als Möbiusband heute lesenswerter denn je.