Das Verhältnis von Strukturalismus und Realismus ist in den Literaturwissenschaften
eigentümlich unbeobachtet geblieben. Die literarische Verfertigung von Wirklichkeit blieb fein
säuberlich getrennt vom formalen Impetus der auf die Erkenntnis 'elementarer Strukturen'
(Claude Lévi-Strauss) zielt. Aus dem Strukturalismus des 20. Jahrhunderts ist dies nicht zu
erklären da dieser vielmehr von einer 'strukturalen Aktivität' (Roland Barthes) ausging die
ebenso in den Wissenschaften und der Philosophie wie in den Künsten anzutreffen war. Im Blick
der Strukturalisten ist die Literatur selbst - und zwar schon vor der expliziten Theoriebildung
also bereits in früheren Jahrhunderten - ein Archiv der Adressierung von Strukturen.Im 20.
Jahrhundert werden Schriftsteller zudem zu Mitstreitern des strukturalistischen Unterfangens
insofern sie die entsprechenden Diskurse erstens inspirieren zweitens rezipieren und drittens
durch eigene Formen des 'Strukturen-Schreibens' (Hubert Fichte) erweitern. Die literarischen
Realismen des 19. bis 21. Jahrhunderts müssen - ebenso wie der Strukturalismus selbst - über
ein Spannungsverhältnis begriffen werden das sich nicht nur zwischen der formal-abstrakten
Struktur und der Vielfalt der Empirie bzw. der Kontingenz der Historie abspielt sondern das
auch das Konzept der Struktur selbst erfasst und dynamisiert.