Nationen gelten heute als Konstrukte im Spannungsfeld von Politik und Kultur und damit auch von
Literatur. Parallel dazu hat sich in der interdisziplinär-mediävistischen Nationenforschung ein
tief greifender Paradigmenwandel vollzogen der unter anderem zu einer weit späteren Datierung
der Anfänge deutschen Nationsbewusstseins geführt hat als lange üblich. Beide Entwicklungen
fordern in neuer Weise auch die Literaturwissenschaften zu kritischer Reflexion. Die
Monographie setzt hier an indem sie erstmals systematisch aus germanistisch-mediävistischer
Perspektive nach Genese und Modus narrativer Konstruktion (vor-)nationaler Identität in der
deutschsprachigen Literatur des Mittelalters fragt und zugleich aktuelle Entwicklungen der
historischen Linguistik mitberücksichtigt. Dadurch geraten gängige Interpretationsmuster so
bekannter Texte wie des 'Annoliedes' und der 'Kaiserchronik' auf den Prüfstand und sukzessive
weitet sich der Blick auf verschiedene Repräsentanten so unterschiedlicher
(differenzierungsbedürftiger) Gattungen wie mittelhochdeutscher Chanson-de-geste-Adaptation
deutscher Heldenepik oder spätmittelalterlicher (Reim-)Chronistik. Dabei zeichnen sich
Konsequenzen ab die auch die Humanismusforschung betreffen.