Aristoteles hatte die Erregung von Furcht und Mitleid streng begrenzt auf die kathartische
Wirkung der Tragödie bezogen: Weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Leid an Ethos oder an Nähe
ist erlaubt wenn sich die gewünschte Wirkung einstellen soll. Die Katharsis erweist sich als
grenzbezogenes Phänomen. Zum Traditionsbruch kommt es im 19. Jahrhundert: Mit seiner
medizinischen Deutung radikalisiert Jacob Bernays den Aspekt der Abfuhr . Breuer und Freud
erweitern die kathartische Methode auf das Spektrum aller Affekte. Nietzsche hingegen weist die
aristotelische Deutung als Missverständnis zurück und stellt die tragische Wirkung in den
Dienst des gesteigerten Lebens. Mit der von Bernays Freud und Nietzsche eingeleiteten Revision
erfährt der Begriff der Katharsis neue Aufmerksamkeit insbesondere der konzeptuelle Anspruch
auf Reinigung oder Heilung. In den modernen Künsten und Kunsttheorien kommt es zu einer
Pluralisierung der Katharsiskonzeptionen. Welche Reinigungs- und Heilungsansprüche werden
erhoben? Erfolgt eine Neuvermessung der Grenzen oder werden diese im Zeichen einer Entgrenzung
der Künste aufgegeben? Die Beiträge dieses Sammelbands fragen nach der Reichweite der
aristotelischen Katharsiskonzeption im Verständnis affektbewegender Momente in den modernen
Künsten.