Der Koran ist noch immer nicht Teil des europäischen Wissenskanons obwohl er tief in der
biblischen Tradition verwurzelt ist. Er gilt weithin noch als exklusiv islamischer Text. Die
kritische Bewertung seiner Beziehung zur Bibel und damit zur europäischen Tradition setzt seine
Einbettung in die - auch für das spätere Europa formative - spätantike Kultur voraus in die er
sich theologisch innovativ einbrachte. Die großen Fragen der Zeit wurden nicht nur von Rabbinen
und Kirchenvätern sondern auch von der koranischen Gemeinde debattiert. Ihre besonderen
Antworten verdienen daher als Beiträge zu einer neuen sich intensiv in die laufenden
Religionsdebatten einbringenden Theologie Beachtung. Die sich dabei abzeichnende Fokussierung
des gesprochenen Wortes als der maßgeblichen Manifestation Gottes in der Welt kann nicht
außerhalb des besonderen kulturellen Umfelds gesehen werden in dem lokale Dichtung der
arabischen Hochsprache bereits eine besondere Aura verliehen hatte. Der neue Blick auf den
Koran erfordert jedoch gleichzeitig eine kritische Neureflektion unserer modernen - nie ganz
unpolitischen - Philologien. Der Blick muss frei werden für die Textpolitik des Koran die den
Prozess der Islamentstehung am ehesten erkennbar macht.