Quantenmechanik und Brechts Episches Theater erschüttern das Paradigma einer unbeteiligten
Betrachtung die ihren Gegenstand unverändert lässt. Auf beiden Gebieten wird die Annahme der
Kontinuität und strikten Kausalität der untersuchten Vorgänge sowie der Anschaulichkeit der
Individualität und Identität der beobachteten Objekte prekär. Erstmals wird Brechts Bezug zur
Quantenmechanik ausführlich untersucht. Die Wechselwirkung zwischen dem neuen Theater und der
neuen Physik baut auf einem gemeinsamen historischen sozialen und biographischen Hintergrund
auf und schöpft aus einem Reservoir gemeinsamer Konzepte und Methoden. Die Spuren der
Interferenz der beiden Wissensgebiete finden sich im Archiv mit dem Nachlass des Philosophen
und Physikers Hans Reichenbach ebenso wie in Brechts Kaukasischem Kreidekreis. Aus der
Neubestimmung von Atom und Individuum und ihrer problematischen erkenntnistheoretischen
Beziehung zieht Brecht weitreichende ästhetische und ethische Konsequenzen und entwickelt in
seinem Spätwerk eine Verhaltenslehre der Unschärfe.