Literaturwissenschaftliche Theorie und Praxis ist von einer bislang kaum wahrgenommenen
Asymmetrie gekennzeichnet: dem Kontrast zwischen den intensiven Bemühungen Rezeptionsforschung
und -theorie als Disziplin wissenschaftlich zu fundieren und den unzulänglichen Versuchen die
aus diesen Positionen hervorgehenden Lesermodelle systematisch zu erfassen. Eine solche
Systematisierung steht im Zentrum dieser wissenschaftstheoretischen Arbeit. Ein ähnliches
Ungleichgewicht besteht zwischen dem großen Aufwand mit dem Editionsphilologien eine
standardisierte Sicherung von Primärtexten als Vorbereitung der Textinterpretation betreiben
und der limitierten Aufmerksamkeit die dabei historischen Rezeptionstexten eingeräumt wird.
Während der erste Teil der Arbeit Lesermodelle systematisiert und hinsichtlich ihrer
Funktionalisierbarkeit für eine historisierende Literaturwissenschaft prüft formuliert der
zweite Teil eine theoretische Begründung und einen methodischen Entwurf der historisierenden
Rezeptionsanalyse. Sie sichtet und sichert Rezeptionszeugnisse realer Leser zur Stützung der
interpretativ-hermeneutischen sozialhistorischen und im weitesten Sinne empirischen
Argumentation literaturwissenschaftlicher Historisierung.