Zeit ist für Erzählen essentiell: Die Art und Weise wie literarische Erzählungen funktionieren
ist ganz wesentlich davon beeinflusst welche Zeitvorstellungen in den Texten entworfen sind.
Während mittelalterliche Erzählungen nur in Ausnahmefällen eine ergebnisoffene Zukunft
entwerfen so ist die Vorstellung eines unbestimmten Zeitraumes den es mit Plänen Wünschen
Kalkulationen usw. zu gestalten gilt in den frühen deutschsprachigen Prosaromanen des 15. und
16. Jahrhunderts als ein Wandel der Erzählparadigmen beschreibbar. zuokunfft oder kunfft
bezeichnen allerdings auch noch im Frühneuhochdeutschen keinen zu füllenden Zeitraum sondern
vielmehr den Eintritt eines vorherbestimmten Ereignisses. Die Studie fragt daher wie sich
nicht das Wort 'Zukunft' wohl aber das Phänomen 'Zukunft' als narrativ bedeutsames Konzept für
diesen Wandel beschreiben lässt sowie nach der Überlagerung und Verschiebung unterschiedlicher
narrativer Zukunftsentwürfe im Erzählen der frühen Prosaromane. Als eine spezifische Neuerung
ist insbesondere zu beobachten dass die Auslöser und Gründe des Handelns der Figuren dem Leser
als deren gedankliche Überlegungen einsehbar gemacht werden: Tatabsichten Pläne und
Handlungsvorbereitungen rücken ins Zentrum der Darstellung und adressieren zugleich den Raum
alternativer Möglichkeiten. Die Arbeit fragt daher wie Literatur in der narrativen Verhandlung
von Zukunft dem Rezipienten ein neues historisches Zeitbewusstsein zur Anschauung ausstellt und
ihn überdies auf der Basis eigener Wahrnehmungsleistungen zugleich zur Reflexionen über die
Zukunftsgestaltung einlädt. Die Untersuchung des Hug Schapler der Melusine Harliebs
Alexanderroman und des Fortunatus' stellt insbesondere die Planung der Zukunft als
entscheidendes Thema des Erzählens im frühen Prosaroman heraus und bringt die
Perspektivierungen von Zukunft sowie die Verhandlung von Kontingenz oder Planbarkeit des
Zukünftigen auf den unterschiedlichen Erzählebenen zur Anschauung. Dergestalt lässt sich die
alte Forschungsfrage nach der fehlenden 'Handlungsanweisung' der frühen Prosaromane neu
beantworten: Da es auf eine quasi permanente Perspektivierung der Zukunft ankommt gibt es
angesichts einer fluiden Zukunft keine eindeutigen Handlungsanweisungen mehr nach denen sich
der Protagonist (und auch der Rezipient) richten könnte. Was allenfalls als
Orientierungsrichtlinie bleibt ist die Aufforderung zur flexiblen Reaktion auf eine intrikate
Umgebung und zu selbstverantworteten Entscheidungen für das eigene Leben welche in den frühen
Prosaromanen nun ins Zentrum des narrativen Interesses rücken.