In ihrer prototypischen Erscheinungsform sind sowohl der Brief als auch das Epigramm
gekennzeichnet durch Kürze und Beschränkung auf das Wesentliche. Aus antiker Perspektive
rangieren beide Textsorten zudem am unteren Ende der Gattungshierarchie. Doch im Laufe der Zeit
etablieren sich Brief und Epigramm als ernstzunehmende konkurrenzfähige Formen und bieten sich
geradezu für literarische Experimente und Innovationen an. Sie wachsen überdies nicht selten
über ihren ursprünglichen Status als einfache oder kleine Textsorten hinaus und sprengen damit
konventionelle Erwartungen. Dieser Band untersucht die Bezüge und Wechselwirkungen zwischen
Brief und Epigramm in Antike und Mittelalter. Dieser breite zeitliche Rahmen ermöglicht es
Konstanten und Divergenzen über diverse Epochen und literarische Räume hinweg zu analysieren.
Die einzelnen Beiträge nehmen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden
Textsorten in den Blick und überprüfen zudem wie sie sich wechselseitig durchdringen und damit
eine Durchmischung bis hin zu einer Kreuzung der Gattungen produzieren: Ein Brief kann
epigrammatische Momente aufweisen oder sogar durch seine Pointierung insgesamt wie ein Epigramm
wirken ein Epigramm kann in Briefform abgefasst sein Epigramme können in Briefe eingebettet
sein usw.