Mit seiner Allgemeine Staatslehre reiht sich Hans Kelsen in eine spezifisch deutschsprachige
Tradition ein - und doch begründet er mit ihr etwas grundstürzend Neues. Denn das in der
prominenten Reihe Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft erschienene Werk markiert
nicht nur die Auftaktschrift für den sog. Weimarer Richtungs- und Methodenstreit in der
Staatsrechtslehre die Carl Schmitt Rudolf Smend und Hermann Heller ihrerseits zu Verfassungs-
respektive Staatslehren provozieren wird. Sie stellt darüber hinaus - neun Jahre vor der 1934
publizierten Erstauflage der Reine Rechtslehre - die erste zusammenhängende Darstellung der von
Kelsen begründeten und gemeinsam mit seinen Schülern ausgeformten Reinen Rechtslehre dar. Sie
zeigt den 43jährigen Kelsen auf dem Zenit seines Wiener Wirkens und seine Jungösterreichische
Schule der Rechtstheorie am Ende ihrer Formationsphase. Auf der Grundlage einer durch Kants
Vernunftkritik bestimmten Methode legt Kelsen dar dass die herkömmlich unter dem Sammelbegriff
der Allgemeinen Staatslehre behandelten disparaten Fragestellungen durchgehend Probleme der
Geltung und Erzeugung einer spezifischen [Rechts-]Ordnung sprich: Rechtsprobleme sind. Während
er die Geltungsfragen sozusagen den Staat in der Ruhelage der (Nomo-)Statik zuschlägt
behandelt er die Erzeugungsfragen also den Staat in der Bewegung unter dem Aspekt der
(Nomo-)Dynamik. Und während die früheren Monografien seine normativistisch-positivistische
Lehre nur mittelbar nämlich durch das Diapositiv der Dekonstruktion der tradierten
Staatsrechtslehre erkennen ließen präsentiert sie Kelsen hier erstmals als vollgültigen
Gegenentwurf.