Die 'Odyssee' neu erzählt als Geschichte ihrer unterschlagenen Heldinnen Wie kann man dem
größten Mythos der abendländischen Kulturgeschichte angemessen begegnen? Man packt ihn in ein
Gurkenglas - immerhin muss er transportiert werden. So jedenfalls machen es Penelope und ihre
Begleiterinnen wenn Ulrike Draesner sie hinaus aufs Meer schickt um der Welt eine alternative
Erzählung zur patriarchalen Vorlage zu schenken. Penelope - Inbegriff der treuen Gattin
makellos in der Erfüllung ihrer Rolle als bescheiden dienende Ehefrau. Ulrike Draesner wirft
dieses Narrativ beherzt über Bord und ermöglicht eine Vielzahl neuer Perspektiven: auf die
Person Penelope und ihre Wünsche ihre Tatkraft ihren Aufbruch in ein neues Leben. Auf die bis
heute prägende Kraft der Frauen- und Männerbilder des alten Griechenland. Und nicht zuletzt auf
die Frage danach was gute Regierung bedeutet. Draesners Penelope ist klug leidenschaftlich
freiheitsliebend. Als deutlich wird dass der so traumatisierte wie brutalisierte
Kriegsheimkehrer Odysseus als Herrscher nicht mehr tragbar ist sticht sie gemeinsam mit
hundert Frauen in See. Mit Listen die u.a. Sirenen Großmütter und fliegende Fische enthalten
entkommt man auf dem eigens angefertigten Schiff den Verfolgern. Abenteuerlich wird die Fahrt.
Nicht nur geografisch führt sie ins Ungewisse. Der Unterschied zwischen freien Helleninnen und
ihren aus Afrika stammenden Sklavinnen schmilzt als erstes dahin. Immer mehr Frauen erheben die
Stimme und verlangen ihre Rechte. Am Ende landet eine bunte Gesellschaft in jener Lagune an
die wir heute Venedig nennen. Es gilt ein neues Zuhause für alle zu schaffen. Sogar die Mücken
bekämpft man am besten - gemeinsam. Ulrike Draesners Relektüre der Urerzählung abendländischer
Literatur berauscht durch Furchtlosigkeit Erfindungsreichtum Witz und poetischen Furor. Alles
gerät in Bewegung in diesem Postepos und bleibt zugleich immer in Verbindung: Sprachen Räume
Zeiten Bedeutung. Die Vielstimmigkeit und Vielgestaltigkeit die in Homers Hexametern bereits
angelegt ist werden durch Ulrike Draesner kühn und hellsichtig weitergedacht. So entsteht ein
Text- und Klanggewebe das den Mythos unter anderen Vorzeichen auf elektrisierende Weise neu
belebt. 'Die Figur erschien - und mit ihr eine Idee. Ich wollte Penelopes Geschichte in
Überlappung mit dem Ende der Odyssee wie es aus der Antike überliefert ist erzählen. Vor
allem aber wollte ich von Penelope erzählen in jenem dunklen Raum in dem üblicherweise nur
noch der Abspann läuft. Im Danach. Nun erst nun hören wir auch ihre Version der Geschichte.'
Die Odyssee neu erzählt als Geschichte ihrer unterschlagenen Heldinnen Ein sprachschöpferisches
und intellektuelles Abenteuer das seinesgleichen sucht 'Die Lyrik von Ulrike Draesner ist für
das Hören gemacht - sie ist Sprachmusik.' Margrit Irgang SWR2