Das Problem der verfassungsgerichtlichen Läuterung der demokratisch unmittelbar legitimierten
Ergebnisse des politischen Prozesses ist durch dogmatische oder rein funktionelle Betrachtungen
nicht zu lösen. Daher stellt der Autor den Zusammenhang mit dem Bürgerbild im modernen
Verfassungsstaat her. Zu diesem Zweck wird zunächst abseits gängiger Analysemuster eine
verfassungstheoretische Matrix zwischen den Polen Populismus und Progressivismus vorgestellt.
Der deutsche Verfassungsdiskurs der Recht überwiegend als objektiv und vorfindbar begreift
weist bereits die progressivistische Richtung. Eine Mischung liberalen und pluralistischen
Gedankenguts mit utilitaristischen Untertönen läßt den Staat darüber hinaus als integrativ und
tugendhaft gegenüber den zentrifugalen gesellschaftlichen Kräften erscheinen wodurch dem
Verfassungsgericht eine prominente Rolle in der protektiven juridischen Demokratie des
progressivistischen Gemeinwesens angetragen wird. Dies reflektiert sich in den herrschenden
Theorien von Verfassungsgerichtsbarkeit. Demgegenüber deutet ein zunächst abstrakt erarbeitetes
dann anhand des Grundgesetzes bestätigtes Modell bürgerlicher (politischer) Identität auf die
Notwendigkeit gesellschaftlichen erfahrungsgestützten Lernens hin das nach institutionellen
Ermöglichungsbedingungen und einem Ausgleich von Progressivismus und Populismus verlangt. Der
Verfassungsgerichtsbarkeit kommt in diesem Rahmen die Aufgabe zu unakzeptable Präferenzen
abzuweisen worin gerade ihre politikermöglichende Funktion liegt.