Mit Aberglauben untersucht der Autor Phänomene welche nach vorherrschendem Verständnis im 19.
Jahrhundert allerhöchstens eine untergeordnete Rolle spielten. Die dominierende historische
Deutungsperspektive für diese Epoche folgt soziologischen Kategorien wie Säkularisierung
Rationalisierung Intellektualisierung oder insgesamt einer Modernisierung. Eine
wirkungsmächtige Metapher ist in diesem Kontext Max Webers Formel von einer Entzauberung der
Welt. Aber allen säkularen Trends und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz blieben
Religion und Kirchen prägende Kräfte. Und auch die Ohnmacht der Medizin gegenüber vielen
Krankheiten ließ zahllose überkommene Deutungsmuster fortdauern. Gleichzeitig öffnete der
Modernisierungsprozeß das Feld für neue Formen des Aberglaubens und der Magie die mit
scheinbar wissenschaftlichem Zugriff zunächst in bürgerlich-adeligen Kreisen Fuß faßten. So
wurzelt die heutzutage vielfach beklagte magische Moderne fundamental im 19. Jahrhundert
dessen kennzeichnende und eigentümliche Mischung aus traditionellen und modernen Elementen sich
in den Auseinandersetzungen um Aberglauben wie in einem Brennglas bündelt. Ermittelt werden
kulturelle und soziale Leitbilder der Gruppen die Aberglaubenszuweisungen vornahmen sowie
derjenigen die mit diesem Begriff diskreditiert werden sollten. Dabei sind drei wesentliche
Ergebnisse hervorzuheben. Erstens fügt sich der Aberglaubensvorwurf in Volkskulturkonzepte
indem er sich für die aufgeklärten Kritiker als herausragendes kulturpolitisches Schlagwort
erwies um sich der eigenen religiösen medizinischen oder wissenschaftlichen Normen zu
vergewissern. Zweitens lassen sich vor- und antiaufklärerische Tendenzen im 19. Jahrhundert
erstmals systematisch verfolgen. Wenn man Aberglauben als Problem ernst nimmt dann setzte eine
Breitenwirkung der Aufklärung nur langsam ein. Dieser Prozeß war zudem von vielen Rückschlägen
und Verzögerungen begleitet. Drittens zeigen die Konflikte um den animalischen Magnetismus und
den Spiritismus daß Aberglauben eben nicht nur an überkommenen Werten gemessen werden kann.
Das gilt insbesondere wenn man in den Blick nimmt daß sich die neuen (halb)wissenschaftlichen
Verfahren phasenweise in die Wissenschaftslandschaft einfügten und an den Universitäten
etablierten.