Verfassungsprinzipien - verstanden als Oberbegriff zu Staatsziel- und
Staatsstrukturbestimmungen - sind wohlfeile Kampfvokabeln. Sind sie auch justitiable Normen?
Was bei den klassischen Verfassungsprinzipien der Art. 1 20 und 20a GG unproblematisch
erscheint wird bei anderen Prinzipientypen prekär. Lassen sich beispielsweise neben den
expliziten Prinzipien auch implizite Prinzipien begründen? Nach welchen Kriterien entscheidet
sich ob Rechtsstaatlichkeit Subsidiarität oder Verantwortung (um nur einen Bruchteil
grundgesetzlich inspirierter Prinzipienkreationen zu nennen) Normen des Grundgesetzes sind?
Genügt hier die beliebte Berufung auf eine Gesamtschau? Und wie sind - umgekehrt - die
Verfassungsprinzipien anzuwenden? Ihre quecksilbrige Natur als verfassungsrechtliche
Generalklauseln scheint eine nachvollziehbare rechtssichere Konkretisierung von vornherein
auszuschließen. Franz Reimer tritt den Gegenbeweis an. In der vorliegenden Arbeit widmet er
sich damit einem weithin brachliegenden Feld des Verfassungsrechts: dem Allgemeinen Teil der
Verfassungsprinzipien. Nach einem Überblick über verschiedene Prinzipientypen im Grundgesetz
erweist seine Untersuchung Verfassungsprinzipien als Normen deren Glanz und Elend in ihrer
Rechtsfolgenoffenheit liegt - ein Befund der nicht zu interpretatorischer Verzagtheit zwingt.
Auf dem Grat zwischen puritanischem Verfassungstextpositivismus und phantasievoller
Verfassungsanreicherung muß die Wirkungsweise der Verfassungsprinzipien ergründet werden etwa
ihr Zusammenspiel mit den Verfassungseinzelnormen. Nur so können die Verfassungsprinzipien in
Begründung und Anwendung methodisch domestiziert werden.