Der Apokalypsenkommentar des Kalabreserabtes Joachim von Fiore (+ 1202) ist nach Umfang und
geistigem Tiefgang das wohl bedeutendste Produkt seiner Art. Beendet im Jahre 1200 ist er Teil
einer Trilogie mit deren Abfassung Joachim Anfang der 1180er Jahre begonnen hatte: Während dem
Psalterium decem cordarum die hermeneutische Grundlegung zugedacht ist umfasst die Concordia
Novi ac Veteris Testamenti die realgeschichtliche Analyse und der Apokalypsenkommentar die
gesellschaftskritische Ausfaltung. Letzterer soll zeigen wie Gott in seiner trinitarischen
Seinsweise die Menschheit vom Sündenfall zum himmlischen Dasein führt. Das geschieht in drei
Stufen (status) denen je eine der göttlichen Seinsweisen zugeordnet wird: in der Zeit des
Alten Testaments Gottvater in der des Neuen - das heißt der Kirchengeschichte - Gottsohn und
in einer Übergangsphase zur himmlischen Seligkeit der Heilige Geist. In diesen Phasen entfaltet
die Menschheit ihre Befähigung zu gottgleicher geistlicher Erkenntnis die sich in ihrem
gesellschaftspolitischen Verhalten niederschlägt von buchstäblicher Gesetzestreue über
erkenntniskritische Einsicht bis hin zur Schau Gottes. Bisher war die Trilogie nur in Form
schwer lesbarer Venezianer Frühdrucke verfügbar. Zum ersten Mal wird sie nun in Kooperation der
MGH mit dem Istituto Storico Italiano per il Medio Evo das für die Opera omnia Joachims
federführend ist als kritische Ausgabe vorgelegt.