Ein Staat ohne Staatsgebiet war zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht vorstellbar. Wo würden die
Grenzen einer belarusischen Republik oder wenigstens Verwaltungseinheit zu ziehen sein? Wo lag
die Belarus? Eine Übereinkunft darüber war nicht möglich weil das Territorium nicht durch
Religion Konfession historisch ethnisch sprachlich wirtschaftsgeografisch nach der
Agrarverfassung oder nach naturräumlichen Gegebenheiten bestimmbar war. Die Belarusische
Volksrepublik propagierte 1918 ein großes Staatsgebiet. Doch die Territorialisierung der
Belarus erfolgte 1919 1920 1921 1924 1926 1939 und 1940 als BSSR durch Moskau. Diana
Siebert fragt in Die Territorialisierung der Belarus als BSSR 1918-1941 nach den Argumenten und
Gründen eben dieser Territorialisierung: War es Geografismus oder Ethnizismus? Warum setzte
sich ein Pseudo-Föderalismus gegen einen echten Zentralstaat durch? Spielte der ethnische
Faktor bei innersowjetischen Auseinandersetzungen über die belarusische Ostgrenze 1923-1929
beim Hitler-Stalin-Pakt und der Grenzziehung zu Litauen 1939-1940 eine immer größere Rolle? Und
wer begriff sich als Belarusin und Belaruse? Siebert widmet sich diesen und weiteren Fragen und
klärt überdies ob ein breites belarusisches Selbstbewusstsein zur Gründung und Ausdehnung der
BSSR geführt hat oder ob die Errichtung des Containers BSSR eindeutige ethnische Zuordnungen
erst geschaffen hat. Handelte es sich um die Territorialisierung einer Idee oder um die
Politisierung eines Territoriums?