Der Kaufmann von Venedig ist eines der am meisten gespielten Stücke William Shakespeares.
Weshalb also sollte es neu gelesen werden? Das Stück ist voll zwiespältiger Charaktere
Beweggründe Handlungen die einander und oft sich selbst widersprechen. Alle vier
Protagonisten scheint es doppelt zu geben: Shylock als grotesken Bösewicht und leidenden
Verfolgten Antonio als selbstlosen Freund und todessüchtigen Homosexuellen Bassanio als
Liebhaber und Mitgiftjäger Portia als Heldin eines Feenmärchens oder eines realen
Entwicklungsromans: vom verwöhnten Schloßfräulein über die selig Verliebte bis zur Frau die
ihren Streit um den Geliebten kämpft und gewinnt. Die buchstabengenaue Lektüre des Stücks durch
den Theatermann und Literaturforscher Ivan Nagel führt zu einem erstaunlichen Ergebnis.
Shakespeare hat in diesem Stück zwei Stücke geschrieben: eines für sein Publikum von (laut
Magistrat von London) »entlaufenen Dienern Beutelschneidern Pferdedieben Zuhältern
Falschspielern« - ein anderes für die Wachsamsten seiner Zeit und der Nachwelt. Das Buch geht
dem Stück bis in Shakespeares Probenarbeit als Theaterunternehmer Autor und Regisseur nach. Er
erscheint hier nicht als »ein Elisabethaner« - sondern als der Dichter-Dramatiker der
Genaueres vom Menschen wußte als irgendein anderer.