Wer sich mit der modernen japanischen Literatur beschäftigt stößt früher oder später auf den
Namen Mori Ôgai. Geboren im Feudalsystem kurz vor dessen Zusammenbruch beteiligt am »Umbau«
Japans in einen modernen zentralistischen Staat gestorben zur Zeit des breiten demokratischen
Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg wirft seine widersprüchliche Gestalt und sein
umfangreiches Werk viele literarische weltanschauliche und allgemein kulturelle Fragen Japans
im Übergang zur Moderne auf.Sein Leben bestimmten das Studium in Deutschland von 1884 bis 1888
sowie der Dienst als Militärarzt von 1881 bis 1916. Wie kein anderer Autor dieser ersten
Generation moderner Schriftsteller in Japan hat Mori Ôgai Europa »erfahren«. Und obgleich er
als einziger Autor des modernen Japan beruflich auf der Seite des Staates stand blieb er
gleichwohl ein durchgängig kritischer Beobachter jenes Umbaus an dem er selbst in führender
Position teilnahm. Andererseits ist Mori Ôgai ein Sonderfall. »Japanische Tradition« ist bei
ihm nicht - wie bei vielen anderen in Europa als eigentümlich »japanisch« angesehenen Autoren -
die Welt einer erhöhten ästhetischen Sensibilität wie wir sie aus der klassischen Literatur
Japans kennen sondern die durch moralischen Rigorismus und chinesische Bildung bestimmte Welt
der Samurai der späten Feudalzeit der er sich in seinen letzten Jahren auch als Historiker
widmete.Der vorliegende Band vereinigt elf Texte aus allen Schaffensperioden dieses Autors
meist erstmals ins Deutsche übersetzt. Drei frühe Erzählungen (1890 91) geben ein eigenartig
exotisches Bild Deutschlands gesehen mit den Augen eines dort studierenden Japaners. Sie sind
ein Zeugnis der frühen Aneignung europäischer Literatur und europäischer Welt.