Im Gegensatz zu den frühjüdischen und auch den christlichen Bibelkommentierungen in denen die
Ausleger um das eine wahre Verständnis des heiligen Textes ringen und manchmal streiten geht
die rabbinische Schriftauslegung von einer völlig anderen Voraussetzung aus: Da Gott seinem
Volk die Tora ein für allemal gegeben hat muß man ihr möglichst viele Deutungen entnehmen
können die Antworten für die jeweilige Zeit und für unterschiedliche Lebensumstände bieten.
Dazu leistet jeder Rabbi dank seiner Schriftgelehrsamkeit einen Beitrag die Vielfalt der
Auslegungen ist erwünscht demonstriert sie doch den Reichtum der göttlichen Offenbarung. Ein
rabbinischer Midrasch wie die Mekhilta worin der Bibeltext Vers für Vers und manchmal auch
Wort für Wort ausgelegt wird versammelt deshalb eine große Fülle möglicher Interpretationen.
In der Mekhilta de-Rabbi Jishma'el kommen über neunzig Rabbinen zu Wort am häufigsten unter
ihnen der frühe Meister Jishma'el ben Elisha' (Anfang des 2. Jahrhunderts) nach dem diese
anonyme Kommentarsammlung benannt wurde. Ihr Grundstock geht auf das Ende des 3. Jahrhunderts
zurück aber sie wurde noch über längere Zeit bearbeitet und erweitert. Gegenstand der
Auslegung sind zwölf Kapitel aus dem 2. Buch Mose (Exodus 12-23) deren Höhepunkte der Auszug
Israels aus Ägypten und Gottes Offenbarung auf dem Berg Sinai mit der Verkündung der Zehn
Gebote bilden. Die bislang einzige deutsche Ausgabe aus dem Jahr 1909 war nur für Experten
verständlich. Günter Stembergers Neuübersetzung aus den mittelalterlichen Handschriften und
seine Erläuterungen erschließen diesen eindrücklichen Text nun für ein größeres Publikum. Diese
Auslegung von Exodus 12-23 reicht von Israels Auszug aus Ägypten bis zur Gottesoffenbarung auf
dem Berg Sinai mit der Verkündung der Zehn Gebote. Die frühen Rabbinen demonstrieren hier ihre
immense Schriftgelehrsamkeit und ihren interpretatorischen Ideenreichtum.