In der historischen Forschung wurden die heterogenen Stadtgesellschaften Ostmitteleuropas im
19. und frühen 20. Jahrhundert lange Zeit durch das Prisma eindeutig abgrenzbarer
Nationalitäten bzw. ethnischer Gruppen betrachtet. Im Falle Prags wurde so ein einseitig auf
Konflikt und oder Symbiose konzentriertes Geschichtsnarrativ etabliert das seine Ursprünge in
zeitgenössischen Wahrnehmungsmustern der späten Habsburgermonarchie und der Ersten
Tschechoslowakischen Republik hat. Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bilden jedoch nicht die
postulierten Großkollektive. Vielmehr untersucht Ines Koeltzsch im Rahmen einer integrierten
Stadtgeschichte wie Pragerinnen und Prager vielfältiger nationaler sprachlicher und
kultureller Zugehörigkeiten in verschiedenen Handlungsräumen der Stadt kollektive Selbst- und
Fremdzuschreibungen wahrnahmen und verhandelten. Am Beispiel der amtlichen Statistik der
Kommunalpolitik der intellektuellen Öffentlichkeit und der Populärkultur gelingt es ihr die
Kontext- und Situationsabhängigkeit nationaler Identitätskonstruktionen in der Hauptstadt der
als Nationalstaat konzipierten Tschechoslowakei herauszuarbeiten. Die Arbeit wurde 2011 mit dem
Georg R. Schroubek-Dissertationspreis des Schroubek-Fonds Östliches Europa ausgezeichnet. Ines
Koeltzsch geboren 1977 war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Osteuropa-Institut der Freien
Universität Berlin. Zurzeit arbeitet sie als freie Historikerin in Prag.