Die 1830er Jahre werden in der Liedforschung häufig als Zeit der »Kleinmeister« als
»Biedermeier im Lied« oder auch »Talsenke zwischen Schubert und Schumann« bezeichnet. Dies
beruht jedoch auf einem teleologischen Geschichtsbild: Schuberts Lieder galten in den 1830er
Jahren keineswegs als modellhaft für das Lied und Schumanns erste Liedpublikationen erschienen
erst 1840 41. Zudem fanden in den 1830er Jahren eine Reihe von soziokulturellen Umbrüchen statt
die eine Weiterentwicklung der frühromantischen Diskurse um 1800 darstellen und sich im
Liedrepertoire widerspiegeln. Im Zentrum steht dabei die Vorstellung einer romantischen
Gegenwelt die in unterschiedlichen Formen erscheint wie etwa in der Auseinandersetzung mit
Heinrich Heine dem Orientalismus der Beliebtheit von romantischer Naturlyrik der wachsenden
Anzahl an Rheinliedern sowie von Liedern die intime Häuslichkeit propagieren wie etwa
Wiegenlieder. Allerdings klaffen die Gegenweltsvorstellungen auf musikalischer und textlicher
Ebene auseinander: Während sich in der Dichtung bereits eine wachsende Skepsis ob der
Erreichbarkeit der Gegenwelt zeigt werden in der Musik mannigfache kompositorische Wege
gefunden um die zwei Welten miteinander zu verbinden. Anhand exemplarischer Analysen nimmt
Maria Behrendt eine Neubewertung des Liedrepertoires der 1830er Jahre vor und wirft dabei auch
Licht auf das Repertoire das Schumann am Vorabend seines »Liederjahres« rezipierte und das den
Nährboden für seine eigenen Lied-Kompositionen bildete.Ergänzend zu ihrer Untersuchung zum Lied
der 1830er Jahre legt Maria Behrendt hier eine Ausgabe von Kompositionen vor die zum großen
Teil erstmals in moderner Edition erscheinen. Sie waren im frühen 19. Jahrhundert wesentlicher
Bestandteil des musikalischen Kanons sind heute jedoch als Werke vermeintlicher »Kleinmeister«
weitgehend in Vergessenheit geraten.Unter den 47 Liedern finden sich Werke von in den 1830er
Jahren führenden Liedkomponisten wie Carl Gottlieb Reissiger Carl Friedrich Curschmann und
Heinrich Marschner sowie von Komponistinnen wie Johanna Kinkel Josephine Lang und Fanny Hensel
teils mit zu Lebzeiten unpublizierten Kompositionen. Sie geben ein facettenreiches Bild des
Romantikdiskurses der 1830er Jahre ab: So finden sich orientalistisch geprägte Lieder die eine
romantische Gegenwelt im idealisierten Morgenland suchen nationalromantisch motivierte
Rheinlieder Kompositionen die auf bereits als anachronistisch empfundener Naturlyrik beruhen
Wiegenlieder die intime Häuslichkeit propagieren aber auch Vertonungen von Gedichten Heinrich
Heines in denen die romantische Überhöhung der Welt ironisiert wird.Das nun erstmals für die
Forschung und die musikalische Praxis erschlossene Material ermöglicht eine Neubewertung des
Repertoires der 1830er Jahre vor dem Hintergrund des Romantikbegriffs die das etablierte
Wissen über das Liedrepertoire des frühen 19. Jahrhunderts kontextualisiert erweitert und
korrigiert.Insgesamt ist der Autorin eine Darstellung der Liedgeschichte der 1830er Jahre
hervorragend gelungen die interessant zu lesen ist und auf der Basis romantischer
Vorstellungen neue Aspekte zutage bringt hauptsächlich in der äußerst verdienstvollen
Aufarbeitung des breiten Spektrums unbekannterer Lieder. Die beiden Bände sind unbedingt zur
Anschaffung in Bibliotheken vor allem von Musikhochschulen und -universitäten zu empfehlen
damit das unbekannte Repertoire zur Aufführung kommen kann. (Elisabeth Schmierer Die
Musikforschung 3 2022)