Die 'jüdische Mimikry' ist im Gegensatz zu vielen anderen antijüdischen Stereotypen kaum
bekannt. Und doch ist das besondere Talent zur Nachahmung und Täuschung das Juden und Jüdinnen
damit zugeschrieben wird zentraler Bestandteil des antisemitischen Diskurses. Der Begriff
'Mimikry' wurde im 19. Jahrhundert in England als Bezeichnung für einen evolutionär
entstandenen Schutzmechanismus in der Insektenkunde geprägt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
tauchte er dann im antisemitischen Diffamierungsvokabular des deutschsprachigen Raumes auf. Die
damit verbundenen Vorstellungen jüdischer Imitationskünste entwickelten sich allerdings schon
lange vor der Entstehung des Terminus als eine Reaktion auf Ängste die mit dem Verlust der
Identifizierbarkeit von Juden und Jüdinnen im Zuge des Assimilationsprozesses einhergingen. Der
vorliegende Band untersucht das wenig bekannte Stereotyp erstmals systematisch und geht dazu
seiner Bearbeitung in unterschiedlichen Texten von deutschsprachigen Autoren jüdischer und
nicht-jüdischer Herkunft nach. Dabei wird deutlich wie eng im 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert nicht nur gesellschaftliche Problematiken sondern auch ästhetische Fragestellungen
mit der sogenannten 'Judenfrage' verknüpft wurden.