Dass unter der Rubrik 'Novelle' gar vieles wunderliches Zeug kursiert (J. W. Goethe) steht
nach wie vor außer Frage. Was Novellen 'sind' kann daher allein im Nachvollzug ihrer
Entwicklung erläutert werden: von den orientalischen Ursprüngen des literarisch anspruchsvollen
Prosa-Erzählens über die poetische Kultivierung in Boccaccios 'Decameron' bis hin zum Rückgriff
auf die romanische Tradition am Ende des 18. Jahrhunderts mit Goethes 'Unterhaltungen deutscher
Ausgewanderten' der Herausbildung eines Gattungsbewusstseins im Realismus des 19. Jahrhunderts
und der 'Novellen'-Renaissance an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert.Albert Meiers
Einführung in die Entwicklungslogik der Novellistik macht an repräsentativen Beispielen
einsichtig wie der novellistische Kunstanspruch jeweils eingelöst worden ist. Gerade weil es
'die Novelle' als Idealtyp nicht gibt haben sich mit der Zeit doch verbindliche Merkmale
herausgebildet: aufgrund der 'mittleren Länge' zumindest die Konzentration auf ein zentrales
Ereignis die Arbeit mit Symbolik und vor allem eine Rahmung damit sich das Erzählen selbst
kommentieren kann. Ihrer Abstraktheit wegen machen diese Gemeinsamkeiten eine immense Vielfalt
ihrer je konkreten Realisierung möglich und daher gehört auch die Variationsbreite zu den
konstituierenden Eigenschaften der Novelle.Die Einführung macht die poetische Logik deutlich
der alle Novellistik seit jeher gehorcht.