Eine gesündere leistungsfähigere Menschheit zu schaffen schien angesichts neuester Ergebnisse
der Evolutions- und Vererbungsforschung um 1900 erstmals machbar - und vor dem Hintergrund
einer vermeintlich rasanten Degeneration der Bevölkerung dringlicher denn je. Prominente
Sozialistinnen und Sozialisten waren überzeugt dass der körperliche und psychische Verfall die
Schlagkraft der Arbeiterbewegung bedrohte und zugleich die Abschaffung des Kapitalismus allein
nicht genügen würde um den Niedergang aufzuhalten. Birgit Lulay arbeitet heraus wie
sozialdemokratische Intellektuelle in Deutschland und Großbritannien sozialistische und
frauenbewegte Forderungen nach ökonomischer und sozialer Gleichheit in ihre Eugenikkonzepte
integrierten. Bezug nehmend auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse bekämpften die
Intellektuellen einerseits die dominierende rassistische armenfeindliche sozialdarwinistische
Eugenik und trugen gleichzeitig zu einer weiteren Marginalisierung bestimmter
gesellschaftlicher Gruppen bei. Ihre Vorschläge für eine gezielte Fortpflanzungssteuerung
reichten von Aufklärungskampagnen bis zu Zwangsmaßnahmen darunter Sterilisation und
Internierung.