0 fand im Moskauer Bolschoj-Theater eine Aufführung statt die als ein kultureller Höhepunkt
des Hitler-Stalin-Pakts gedacht war: Richard Wagners Walküre in der Inszenierung von Sergej
Eisenstein. Dank dessen subversiver Kraft wurde daraus kein faschistisch-kommunistisches
Stelldichein sondern ein Ereignis in dem sich die großen politisch-ästhetischen
Konfliktlinien der Moderne abzeichnen. Dieser irrlichternden Begegnung von Wagner und
Eisenstein widmet Dieter Thomä einen großen Essay in dem er jene Konfliktlinien bis in die
Gegenwart fortzeichnet. Behandelt wird der Hang zum Gesamtkunstwerk ebenso wie der Ausgriff auf
die politische Totalität. Doch findet sich bei Wagner und Eisenstein auch eine zarte Geste zur
Rettung des Individuellen: eine kleine Verteidigung des Mitleids. So wird aus der historischen
Trouvaille ein überraschend aktueller Kommentar zu einem Grundkonflikt der Moderne: dem
Verhältnis zwischen Individuum und Allgemeinheit.