Zwei gegenläufige Tendenzen kennzeichnen die geistige Situation der heutigen Zeit: Mit den
Fortschritten etwa in Biogenetik und Hirnforschung dringt eine naturwissenschaftlich
objektivierte Selbstauffassung von Personen auch in alltägliche Handlungszusammenhänge ein.
Damit verbindet sich für die Philosophie die Herausforderung eines szientistischen
Naturalismus. Auf der anderen Seite ist eine Revitalisierung von Glaubensüberlieferungen und
die Politisierung von Glaubensgemeinschaften zu beobachten. Daraus erwächst für die Philosophie
die Herausforderung einer fundamentalistischen Grundsatzkritik am nachmetaphysischen
Selbstverständnis der westlichen Moderne. Jürgen Habermas lotet das Spannungsfeld zwischen
Naturalismus und Religion aus. Er plädiert einerseits für ein angemessenes naturalistisches
Verständnis der kulturellen Evolution das dem normativen Charakter des menschlichen Geistes
Rechnung trägt andererseits für eine adäquate Deutung der Säkularisierungsfolgen einer
kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung.