Ulla Berkéwicz: Mordad eine Erzählung. In Afghanistan ist Mordad der siebente Monat des Jahres
der Hitzemonat Juli. Mordad ist aber auch: die Geschichte eines unerhörten Vorfalls. Mordad
erzählt - vielleicht - von einem Mord den - vielleicht - keiner der ihn begangen haben könnte
begangen hat. Eine Schriftstellerin bekannt als Autorin historischer Romane zieht sich in ein
Haus in einem Garten in der norddeutschen Stadt H. zurück an einen ihr fremden Ort »fremd
genug um dort fremd zu sein um unbelastet von alten unbeeindruckt von neuen Eindrücken mit
der Sucharbeit zu beginnen fremd genug um dort vielleicht auf mich zu treffen mich
wiederzuerkennen fremd genug um zu schreiben«. Dort sitzt sie vor ihrem Fenster auf ihrem
Stuhl an ihrem Schreibbrett »als Randfigur mit Zuschauerpart und Fensterplatz« und wartet auf
den Einfall für die Geschichte die sie schreiben will. Welche Geschichte? Die Geschichte des
Mannes und der Frau die in dem anderen Haus des Gartens wohnen? Die Geschichte in die sie
hineingezogen und hineingespielt wird von dem Klavierstück das die Frau jede Nacht spielt bis
der Mann am Morgen nach Hause kommt? Dann kommt die Hitze. Sie sitzt auf ihrem Stuhl vor ihrem
Fenster geht nicht mehr aus der Wohnung »hält die Augen offen die Stifte gespitzt die
Seiten aufgeschlagen«. Und wie die Schriftstellerin nun versucht die Akteure aus dem Garten
heraus in eine Geschichte hinein zu schreiben nach Khorasan ins alte Afghanistan in die
Mordad-Hitze dort hinein - da geschieht es. Doch was geschieht? Die Mordtat? Der Mord? Mord an
wem? An dem Mann der Frau oder dem der plötzlich im Garten aufgetaucht ist? Keiner der
Nachbarn die vernommen werden weiß es jeder erzählt eine andere eine eigene Geschichte so
daß es am Ende so viele Wirklichkeiten gibt wie die sie behauptenden Personen und diejenige
die nur um einen eigenen Text zu kämpfen schien hat nun mit der mörderischen leibhaftigen
Wirklichkeit des eigenen Einfalls zu kämpfen. »Ich wußte daß die Geschichte die ich
angefangen hatte zu erzählen ohne mich weiterlief gegen mich vielleicht daß sie vielleicht
einen anderen Schreiber wollte oder gar keinen mehr sich vielleicht unbeobachtet ereignen
wollte. Oder hatte diese von mir herbeigeschriebene Handlung sich meiner bemächtigt? War ich
eine Figur unter meinen Figuren geworden? war ich eine Figur meiner Figuren die mich als
Zuschauer brauchten um wirklich zu sein?« Mordad ist ein starkes Stück Literatur das sich
wie fast alle Arbeiten von Ulla Berkéwicz mit der Aufhebung des Realitätsbegriffs beschäftigt
indem es - mit den Mitteln der Phantasie - zeigt wie materielle Realitäten von imaginativen
durchdrungen werden und wie sich die beiden Welten auf einer neuen Ebene vereinen. Mordad ist
aber auch gerade weil es das sogenannte Wirkliche in Frage stellt ein Buch der Suche der
Existenzausleuchtung - klar geschrieben umstandslos auf sein Finale zusteuernd und den Leser
überraschend.