»Es gibt vielleicht keine Tage unserer Kindheit die wir so voll erlebt haben wie jene die wir
glaubten verstreichen zu lassen ohne sie zu erleben jene nämlich die wir mit einem
Lieblingsbuch verbracht haben.« Unter dem Titel »Sur la lecture« erstmals 1905 in La
Renaissance Latine erschienen und als Vorwort für eine Ruskin Übersetzung von Marcel Proust
entstanden beginnt so der erste der drei hier versammelten Essays über die Faszination des
Lesens. Und schon jenen ersten Satz meint man in der Abwägung verschwendeter und erfüllter
Lebenszeit als Keimzelle für die große Suche nach der verlorenen Zeit zu erkennen. Proust
erinnert sich an Tage des Lesens im Kindheitsparadies Illiers in denen die Lektürezeit meist
mit häuslichen Notwendigkeiten konkurrieren muss und weitet seinen Aufsatz zu einem Nachdenken
über die Frage ob und wie aus dem Umgang mit Literatur Literatur entsteht ob und wie der
Kritiker zum Dichter werden kann. Die zwei darauffolgenden Essays beide in der Nouvelle Revue
Française erschienen besprechen die Werke zweier großer französischer Dichter. »Über den
'Stil' Flauberts« (1920) ist zunächst eine scharfsinnige Analyse der stilistischen Eigenheiten
und der »grammatischen Schönheit« Flauberts und entspinnt sich zu einer spitzen Kritik an der
Literaturkritik selbst. »Über Baudelaire« (1921) bietet einen ebenso pointierten wie
umfassenden Überblick über die französische Lyrik. Der Essay beleuchtet die Thematik der
Homosexualität in Baudelaires Blumen des Bösen - gewiss auch im Hinblick auf die bevorstehende
Publikation von Prousts Sodom und Gomorrha. Alle drei Essays dieses Bandes offenbaren prägende
Lektüreerfahrungen von Marcel Proust und wie er das Geheimnis des Lesens »dieses fruchtbaren
Wunders einer Kommunikation im Herzen der Einsamkeit« zu entschlüsseln sucht.