Die jüngsten Ereignisse in Tunesien und Ägypten sind ein eindrucksvoller Beleg für die Kraft
kollektiver Emotionen. Ausgelöst durch die Selbstverbrennung eines jungen Tunesiers
entwickelten sich in kürzester Zeit Massenproteste die sich wellenartig von einem
nordafrikanischen Land zum anderen ausbreiteten - entsprechend dem berühmten so genannten
Schmetterlingseffekt. Die Theorie der kollektiven Affektlogik welche dem Buch »Gefühle machen
Geschichte« zugrunde liegt vermag solche emotionalen Resonanzphänomene weit über das aktuelle
Tagesgeschehen hinaus zu erklären.Fragestellung und Grundlagen werden zunächst anhand des von
Luc Ciompi aus den modernen Emotions- und Evolutionswissenschaften entwickelten Konzepts der
Affektlogik erklärt. Im Mittelpunkt steht die Frage wie sich kollektive Emotionen auf das
allgemeine Denken und Handeln auswirken. Anhand von Beispielen wie dem Aufstieg Hitlers und des
Nationalsozialismus dem Israel-Palästina-Konflikt und den aktuellen Spannungen zwischen der
islamischen und westlichen Welt wird überzeugend erklärt wie Wir-Gefühle den Lauf der
Geschichte beeinflussen. Auch bei der Wahl von Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten 2008
spielten kollektive Emotionen eine zentrale Rolle. Ähnliche Wechselwirkungen zwischen Fühlen
Denken und Verhalten lassen sich den Autoren zufolge ebenfalls in unzähligen Alltagssituationen
in der Werbung im Verkauf und in der Entwicklung von familien- oder gruppenspezifischen
»Eigenwelten« beobachten. Als Schlussfolgerung ergibt sich dass offene oder verdeckte
Emotionen die entscheidenden Motoren und Organisatoren allen mikro- und makrosozialen
Geschehens sind. Abschließend diskutieren Luc Ciompi und Elke Endert die praktischen und
theoretischen Implikationen dieser Erkenntnis für unser allgemeines Menschenbild sowie für
moderne Techniken der Krisenintervention der Mediation und der Bewältigung von kollektiven
Traumata.Der interdisziplinäre Ansatz der kollektiven Affektlogik ist ausgesprochen innovativ
und sowohl praktisch wie konzeptuell von erheblichem Allgemeininteresse. Er wirft ein neues
Licht sowohl auf großräumige politische und gesellschaftliche Prozesse wie auch auf scheinbar
selbstverständliche Alltagsphänomene.