Die 'Studien über Hysterie' (1895) sind sozusagen das Keimbuch der Psychoanalyse. Zwar waren
das eigentlich psychoanalytische Behandlungsverfahren des freien Einfalls und die Theorie der
Verdrängung noch nicht entwickelt - Fortschritte die Freud erst später nach der Trennung von
Breuer vollzog - aber die Keime zu diesen Neuerungen sind in den Studien leicht zu entdecken.
Mittels der sogenannten »kathartischen Methode« hatten beide Autoren revolutionäre Einblicke in
den Zusammenhang zwischen Lebensgeschichte und neurotischem Krankheitsgeschehen gewonnen und
erstmals das theoretisch wie therapeutisch überragend wichtige Phänomen der Übertragung
erkannt. An-hand berühmter Krankengeschichten - Anna O. Emmy v. N. Katharina u. a. - von
denen Freud selbst meinte sie läsen sich wie Novellen kann der Leser die Arbeit der beiden
Forscher Schritt für Schritt nachvollziehen.Der renommierte Hysterie-Forscher Stavros Mentzos
schildert in seiner Einlei-tung wie der Begriff der Hysterie sich in den mehr als hundert
Jahren die seit Erscheinen der Studien vergangen sind allmählich zur Beschreibung eines
bestimmten um ödipale Konflikte zentrierten Krankheitsbildes verengte und mit dem Verschwinden
dieses Bildes unbrauchbar zu werden drohte. Mentzos plädiert dafür »Hysterie« nicht als ein
nosologisches Etikett sondern als Bezeichnung einer nach wie vor weit verbreiteten
spezifischen Art der Konfliktverarbeitung zu benutzen eben jener theatralischen unbewußten
Inszenierungen die schon im Altertum aufgefallen waren. Aus diesem Blickwinkel gelesen
erweist sich die in den 'Studien' von Breuer und Freud vertretene Hysterie-Auffassung als
staunenswert modern.