Dieses Buch dokumentiert Ergebnisse eines von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) geförderten
Forschungsprojektes zur Entstehungsphase der kinder- und jugendpsychiatrischen
Fachgesellschaft. Hinzu treten weitere Beiträge zur Vorgeschichte und den Grenzgebieten des
Faches im deutschsprachigen Raum.Mit der Erhellung bislang unklar gebliebener Zusammenhänge
kann die Geschichte der Fachgesellschaft so auf eine neue Basis gestellt werden. Diese
Perspektive wird erweitert durch den Einbezug zusätzlicher Quellenbestände die
Zeitzeugenberichte ebenso erfassen wie Patientenakten und verschiedene zeitgenössische
Dokumentationen.Nach ersten Ansätzen für eine spezifische auf das Kindesalter gerichtete
Psychiatrie in der Weimarer Republik wurden führende Vertreter wie Franz Kramer und Ruth von
der Leyen nach 1933 aus der Szene verdrängt andere wie Paul Schröder und Werner Villinger
rückten in Spitzenfunktionen des Faches vor. Pädiater und besonders Psychiater rangen dabei um
Kontrolle in der entstehenden Disziplin. In Kooperation von Vertretern des
Reichsgesundheitsamtes der NS Lehrerbund Fachschaft V den Sonderpädagogen und den führenden
Fachvertretern entstand 1940 in Wien die Deutsche Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und
Heilpädagogik (DGKH). Die drei Vorsitzenden der DGKH waren an der Umsetzung der
rassenhygienischen Zwangssterilisation und zwei von ihnen an der sogenannten Euthanasie-Aktion
beteiligt.Nach 1945 re-etablierten sich die Akteure schnell wieder in Jugendhilfe und
Fürsorgeerziehung und bauten ihre Fachpositionen weiter aus. In Marburg fand 1950 die
Wiedergründung der Fachgesellschaft als Verein für Jugendpsychiatrie Heilpädagogik und
Jugendpsychologie statt (1952 eingetragen im Amtsregister Marburg als Deutsche Vereinigung für
Jugendpsychiatrie). Mit einer zumindest teilweisen Kontinuität des selektiven Denkens prägten
Werner Villinger als Vorsitzender und Hermann Stutte als Schriftführer langfristig die
Entwicklung des jungen Faches.Die Erforschung der deutschsprachigen Kinder- und
Jugendpsychiatrie nach 1945 steht erst am Anfang. Die hier vorgelegten Forschungsergebnisse
liefern bereits Anhaltspunkte zur Aufklärung von vielfachen Gewalt- und Missbrauchserfahrungen
von Patienten in psychiatrischen Einrichtungen der Nachkriegszeit.