Letzer Textband der renommierten Bernhard-Ausgabe. Die teilweise sehr knappen und präzise
ausformulierten Texte die an den Essay späterer Jahrhunderte erinnern eignen sich vorzüglich
als Einstieg in die Gedanken- und Formenwelt des großen Zisterziensers Bernhard von Clairvaux.
Sie erfassen die condition humaine so intensiv daß sie bei Studium und Meditation auch heute
noch unerwartet gegenwartsbezogen wirken können. Die Themen der hier versammelten Texte finden
sich vielfach schon in den anderen Schriften. Die Predigten dieses Bandes bilden allerdings
eine Art bündiger Zusammenfassung des bernhardinischen Gedankenguts. Für den Abt von Clairvaux
ist die Entwicklung zum wahren Menschsein identisch mit dem Grad seiner Beziehung zu Gott. So
klingt das Thema seines frühen Kartäuserbriefes über die Stufen der Gottesliebe im ganzen
Corpus immer wieder wie ein Leitmotiv an. Der Weg des geistlichen Lebens besteht im
Herauswachsen aus der Höllenfurcht der bloßen Glücks- und Belohnungsmentalität hin zur
liebenden Theozentrik. Diese überzeitliche Dynamik des geistlichen Lebens muß Bernhard als sehr
wichtig für die Belebung des Glaubens betrachtet haben. So nimmt er die leidenschaftliche
Diskussion der Reformatoren des 16. Jahrhunderts über Werkerei und rechtfertigenden Glauben
vorweg. Auf seine Weise löst er auch die vermeintliche Unvereinbarkeit von sittlicher
Heteronomie und autonomer Normenbildung die seit Immanuel Kant immer noch die Gedanken vieler
beschäftigt. Bernhards sittliche Vollendung ist in der Gemeinschaft mit dem absoluten
personalen Sein Gottes gegeben. Sie bedeutet Selbstvergessenheit und Seinsbejahung in einem.