In soziologischer Perspektive stellt sich das gegenwärtige Ukraine-Desaster Russlands dar als
Augenblicksmoment eines seit längerem schon währenden Prozesses russischer Identitätspolitik
zugespitzt vor dem ethnischen Hintergrund eines Vielvölkergemischs das außer Kontrolle zu
geraten droht. Es ist die hysterische Reaktion auf das seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
noch immer andauernde als traumatisch erlebte Zerfallsgeschehen eines unzeitgemäßen Imperiums
dessen verzweifelte politische Elite unfähig ist eine tragfähige Zukunftsperspektive zu
entwickeln weil sie ihre Zukunft rückwärtsgewandt in der Vergangenheit sucht artikuliert in
beschwörenden Mythen und Wunschbildern. Da es in der Russischen Föderation keine authentische
Opposition als institutionalisiertes Korrektiv einer fehlgeleiteten Gesellschaftspolitik gibt
besteht durchaus die Möglichkeit eines eurasischen Flächenbrandes der an bestehenden Grenzen
nicht haltmacht.