Psychopathische Minderwertigkeit ist ein Ausdruck der den meisten Lesern neu sein wird. Er ist
es auch in der Tat . Doch nicht blos der Name ist neu auch der Inhalt des bezeichneten
Begriffs bietet ein neues System nervöser und seelischer Anomalien das Koch als selbständiges
Gebiet innerhalb der Psychiatrie und Neurologie abzusondern zu umgrenzen und in die rechte
Beleuchtung zu rücken versucht. Unter dem Ausdruck psychopathische Minderwertigkeiten fasst er
nämlich alle seien es angeborene seien es erworbene den Menschen in seinem Personleben
beeinflussende psychische Regelwidrigkeiten zusammen welche auch in schlimmen Fällen doch
keine Geisteskrankheit darstellen welche aber die damit beschwerten Personen auch im
günstigsten Falle nicht als im Vollbesitze geistiger Normalität und Leistungsfähigkeit stehend
erscheinen lassen. Solche Regelwidrigkeiten finden wir nun nicht bloss bei Erwachsenen mit
welchen Koch sich vorwiegend beschäftigt sondern ebenso häufig wenn nicht noch häufiger in
der Kinderwelt sogar schon im Säuglingsalter. Die psychopathischen Minderwertigkeiten beruhen
im Gegensatz zu den Fehlern und Verkehrtheiten gesunder Kinder die Strümpell in seiner
Pädagogischen Pathologie scharf davon abzugrenzen sucht auf einer angeborenen oder erworbenen
Minderwertigkeit der Konstitution des Gehirns oder des Nervensystems überhaupt wenn auch oft
nur auf einer funktionellen Abnormität ohne nachweisbare organische Veränderung. Sie tragen
darum auch vielfach körperliche Regelwidrigkeiten als Begleiterscheinungen zur Schau. [...]
Johannes Trüper war ein deutscher Pädagoge und gilt als Mitbegründer der Heilpädagogik. Dieses
Buch ist ein unveränderter Nachdruck der Originalausgabe von 1893.