Als die Eltern Hellmut Sterns 1938 beschlossen nach China zu emigrieren holte der damals
Zehnjährige den Atlas hervor um zu erkunden wo dieses Land überhaupt lag. Auf seine Flucht in
die Mandschurei nahm Stern auch seine erste Geige mit die aus dem Nachlaß eines anderen
jüdischen Emigranten stammte. Sie wurde für die Familie bald wichtigstes Mittel zum
Lebensunterhalt im Exil. Stern musizierte als Kind und Heranwachsender - oft nur für eine
Mahlzeit - auf chinesischen Hochzeiten in Nachtclubs und Restaurants. Ebenso eindringlich wie
unsentimental schildert Stern die zum Teil elenden Lebensbedingungen in der Mandschurei und die
Brutalität der sowjetischen Besatzer nach 1945 deren Willkür er selbst nur knapp entrinnen
konnte. Unter abenteuerlichen Bedingungen verschaffte Stern sich und einigen anderen Emigranten
1949 eine Ausreisegehmigung des Oberkommandierenden der rot-chinesischen Armee und organisierte
einen Sonderzug mit dem sie aus dem kommunistischen Machtbereich Chinas nach Israel reisen
konnten. Dort wurde Stern Mitglied des Israel Philharmonic Orchestra und arbeitete unter
Dirigenten wie Bernstein Klecki und Steinberg. Doch die Odyssee seines Emigrantenlebens sollte
für Stern noch immer nicht zu Ende sein. 1956 folgte er seinem in den USA schwer erkrankten
Vater und mußte sich als Schuh- und Orgelverkäufer durchschlagen bis er trotz der rigiden
Auflagen der amerikanischen Musikergewerkschaft wieder in seinem Beruf arbeiten konnte. 1961
kehrte Stern als Erster Geiger des Philharmonischen Orchesters nach Berlin zurück wo er mit
Celibidache und Karajan zusammenarbeitete. Sterns Erinnerungen legen die historischen
politischen und kulturellen Triebkräfte offen die seine Lebensspanne prägten. Die oft nur
knapp aber lebendig skizzierten Hintergründe verleihen diesem Leben Tiefendimension: Es geht
um das Verhältnis von Juden und Deutschen und das Leben im Land der einstigen Mörder. Dies
alles wird bei Stern so eindringlich und faßbar weil er es nicht als abstraktes Wissen
sondern als Lebenserfahrung schildert.