In der sonderpädagogischen sowie der inklusiven Lehr- und Lernforschung nimmt die
Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern durch adaptive
Lernangebote eine zentrale Position ein. Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit
dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung werden jedoch häufig vereinfachend beschrieben und
auf eine biologisch bedingte Behinderung reduziert die alle psychischen Funktionen
gleichermaßen beeinträchtigt. Das vorliegende Buch von Steffen Siegemund setzt dieser
Sichtweise eine differenzierte und aktuelle Diskussion verschiedener Erklärungsmodelle und
Bedingungsfaktoren des Phänomens »Geistige Behinderung« entgegen. Die herausgearbeiteten
Schlüsselprobleme bieten sich im Ergebnis als allgemeine Richtlinien für einen
entwicklungsorientierten Unterricht an. Es zeigt sich darüber hinaus dass syndromspezifische
Besonderheiten zu berücksichtigen sind und dass letztendlich auch bei Schülerinnen und Schülern
mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung Lernvoraussetzungen im Einzelfall bestimmt
werden müssen.Die Bedeutung kognitiver Lernvoraussetzungen für konkrete Lernprozesse wird am
Beispiel der Entwicklung mathematischer Kompetenzen erläutert. Typische Entwicklungspfade
werden genauso beschrieben wie syndromspezifische Besonderheiten. Insbesondere die in mehreren
deutschsprachigen Publikationen hervorgehobene Bedeutung sogenannter pränumerischer Konzepte
kann auf Grundlage des dargestellten internationalen Forschungsstandes kritisch beurteilt
werden. Alle Schülerinnen und Schüler sollten möglichst früh an numerische Konzepte
herangeführt werden. Diese Erkenntnis bietet zusätzlich neue Perspektiven für den Unterricht in
inklusiven Grundschulklassen.Die Relevanz der genannten Analysen für die Unterrichtspraxis
zeigt sich besonders in der Beurteilung verschiedener Förderprogramme sowie der Darstellung neu
entwickelter Aufgabenformate. Diese verfolgen den Anspruch kognitive Lernvoraussetzungen zu
berücksichtigen selbst einen Beitrag zur kognitiven Entwicklung zu leisten und numerische
Kompetenzen zu fördern.Zusammenfassend bietet die herausgestellte Komplexität basaler
mathematischer Kompetenzen eine Chance für heterogene Lerngruppen - auch unter dem Einbezug von
Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.