Gegenstand der Studie sind mittelhochdeutsche Versbearbeitungen des Nikodemusevangeliums
(Konrad von Heimesfurt: Diu urstende Gundacker von Judenburg: Christi Hort Heinrich von
Hesler: Evangelium Nicodemi) und deren Rezeptionszeugnisse. Ausgehend von der darin erfolgten
partiellen Umgestaltung des Prozesses gegen Jesus nach Konventionen des 'deutschen' Rechts wird
die grundsätzliche Frage nach der Funktion solcher Bezüge auf die zeitgenössische
Erfahrungswirklichkeit gestellt. Eine umfassende Untersuchung der komplexen Vernetzungen von
Text und Kontext erschließt deren inhaltliche Implikationen für die narrative Sinnkonstitution
wie auch die Stellung der Erzähltexte im Rechtsdiskurs: Wie lässt sich davon erzählen dass in
der Gestalt Jesu Gott vor Gericht steht den die Texte zugleich als Legitimationsgrund allen
Rechts inszenieren? Über die Analyse des Verhältnisses von 'Literatur' und 'Recht' werden
außerdem die Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Aneignung eines heilsgeschichtlichen
Stoffes erkundet. Damit eröffnen die Ergebnisse auch neue Perspektiven auf die Poetologie
bibelepischen Erzählens.