In »Materie und Gedächtnis« (1896) seinem Hauptwerk erörtert der französische Philosoph und
Nobelpreisträger Henri Bergson das Zusammenwirken von Körper und Geist in der freien Handlung.
Auf höchstem gedanklichen Niveau aber in bestechend einfacher Sprache geschrieben zählt das
Werk zu den wenigen herausragenden Grundtexten der Gegenwartsphilosophie vergleichbar »in
ihrer Zeit mit Berkeleys Principles oder Kants Kritik« (William James).Nachdem Bergson im Essai
sur les données immédiates de la conscience das Verhältnis von Freiheit und Determinismus auf
eine neue Basis zu stellen versucht hat wendet er sich hier in Auseinandersetzung mit der
Psychologie und Hirnphysiologie seiner Zeit dem alten philosophischen Problem des
Verhältnisses von Geist und Materie zu. Dabei reduziert er 'Materie' weder - idealistisch - auf
reine Vorstellungen noch nimmt sie - materialistisch - als deren dinglichen Grund an sondern
sieht sie als eine Gesamtheit von 'Bildern' wobei er den Bildbegriff auf halbem Wege zwischen
Ding und Vorstellung ansetzt und damit vor die Trennung von Existenz und Erscheinung
zurückgeht. Eine herausragende Bedeutung kommt dabei dem Gedächtnis zu: hier verstanden nicht
als 'mechanisches' Registrieren aufgenommener Inhalte sondern als 'reines' lebendiges
Gedächtnis das sich einer geistigen in der Vergangenheit entstandenen Bilderwelt bedient und
der Dauer (durée) korrespondiert. Das auf Dauer ausgerichtete Gedächtnis verweist auf eine
Selbstständigkeit des Geistes die allerdings qua Handlung wieder auf den Körper zurückwirkt.
»Der Geist entnimmt der Materie die Wahrnehmungen aus denen er seine Nahrung zieht und gibt
sie ihr zurück in Form von Bewegung der er seine Freiheit aufgeprägt hat« (Henri Bergson).Nach
über 100 Jahren liegt das Werk nun in einer völlig neuen deutschen Übersetzung von Margarethe
Drewsen vor.