Antisemitische Narrative sind alt und aktuell zugleich - und machen auch vor
Kinderbuchklassikern nicht halt.Lange Zeit haben Forschung und öffentlicher Diskurs die
Vorstellung von einer Jüdischen Weltverschwörung an der vermeintlichen Glaubwürdigkeit der
sogenannten »Protokolle der Weisen von Zion« festgemacht. Dabei ist bekannt dass auch die
gefälschten »Protokolle« auf ältere Texte zurückgehen. Einer dieser Texte ist John Retcliffes
»Auf dem Judenkirchhof in Prag« (1868) in dem sich - anders als in den »Protokollen« - fiktive
Elemente ausmachen lassen die bis heute die Vorstellung von einer Jüdischen Weltverschwörung
konstituieren. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zeigt Julian Timm die Kontinuitäten
des Narrativs der »Jüdischen Weltverschwörung« von seinen literarischen Anfängen im 19.
Jahrhundert über Michael Endes »Wunschpunsch« (1989) bis zu Umberto Ecos »Der Friedhof in Prag«
(2010) und stellt dar wie bis heute antisemitische Fiktionen - bewusst oder unbewusst und über
die Literatur hinaus - reproduziert werden und ein vormals literarisches Narrativ in
verschwörungsaffinen Kreisen wiederholt zur Legitimationserzählung für antisemitische und
rassistische Gewalttaten wie in Halle oder Hanau werden kann.