Digitalisierung greift tief in unsere alltäglichen Praktiken ein. Die radikale Konnektivität
der Vernetzungskultur macht sie pausen- und lückenlos. Die Schattenseiten einer
kontinuierlichen Erreichbarkeit sind bekanntlich unablässige Kommunikation und der Zwang zu
mehr Effizienz. Doch auch die Unterbrechung vermeintlich reibungsloser Abläufe wie etwa das
Warten auf das Laden eines Videos führt deutlich vor Augen wie eng menschliche und technische
Prozesse ineinander verwoben sind. Vor dem Hintergrund dieser Gegenwartsdiagnosen stellt das
Buch von Isabell Otto die Frage nach den Möglichkeiten temporaler Strukturierung unter der
Bedingung digitaler Vernetzung. Welche Zumutungen und welcher Abstimmungs- und
Entscheidungsbedarf entstehen durch die ständige Konfrontation mit den für Menschen
unwahrnehmbar schnellen Abläufen digitaler Medien? Um das Wechselspiel von Prozessualität und
strukturgebenden Praktiken zu beschreiben wird insbesondere die Philosophie Alfred North
Whiteheads für die Erarbeitung einer Zeittheorie der digitalen Vernetzung fruchtbar gemacht.
Whiteheads Bestimmung von Zeit die er Anfang des 20. Jahrhunderts vorgenommen hat bietet die
Möglichkeit natürliche Abläufe technische Prozesse menschliche Erfahrungen und mediale
Operationen gleichermaßen als Temporalisierungen aufzufassen und aufeinander zu beziehen. Die
Fallstudien dieser Untersuchung finden ihre Ausgangspunkte nicht nur in der Pionierzeit
vernetzter Computer oder in der Synchronisierung menschlicher und technischer Akteure in
temporalen Interfaces sondern auch in der Zeitlichkeit von Webcam-Bildern den Kontroversen um
das temporale Regime einer einheitlichen Internetzeit oder den Individuationsprozessen und
Identitätspolitiken sozialer Netzwerke. Sie zeigen dass die Zeit der Vernetzung unsere
temporale Ordnung herausfordert - gerade weil diese nur vorübergehend stabil ist.