Sie glauben Sie kennen Hokusai (1760-1849)? Dann haben Sie sich womöglich getäuscht. Lange vor
der Großen Welle wandte der große Meister seine Hand (und seinen Blick) weitaus intimeren
Szenen zu. Ob Dienstmädchen oder Ehefrauen Kurtisanen Liebhaber oder neugierige Zaungäste -
und ja zwei berüchtigt-verspielte Kraken: Hokusais shunga (wörtlich "Frühlingsbilder") sind
frech fröhlich und oft zum Brüllen komisch. Dieses umfassende Portfolio vereint acht komplette
Bücher und Holzschnittserien aus den Jahren 1786 bis 1823 in einem Band. Viele der begleitenden
Erzählungen wurden vom Künstler selbst verfasst. In dieser Mischung aus Bild und Text quellen
die Seiten über vor ungehemmter Anatomie verschmitztem Voyeurismus zärtlichem Austausch und
einer überraschend egalitären Einstellung zur Lust beider Geschlechter. Anders als im prüden
Europa des 18. Jahrhunderts war Sexualität im Japan der Edo-Zeit (1603-1868) als natürlicher
Teil des Lebens akzeptiert. Weil shunga zwar offiziell verboten in der Praxis aber geduldet
waren umschifften viele namhafte Künstler die Zensur und gaben sich dem Genre - wenn auch
unter Pseudonymen - mit Begeisterung hin. Die "Frühlingsbilder" wurden geschaffen um zu
unterhalten oder zu erregen und dienten sogar als Glücksbringer: Samurai trugen sie als
Talismane bei sich wenn sie in die Schlacht zogen. Technische Neuerungen die sich zu Hokusais
Lebzeiten im Druckgewerbe vollzogen ermöglichten satte Farben und bis ins Feinste
wiedergegebene Textilien. Der Inhalt aber blieb wunderbar menschlich - voller riskanter
Rendezvous gestohlener Momente und Szenen ehelicher (oder außerehelicher) Glückseligkeit. Mit
neuen Aufnahmen dieser seltenen Werke einer ausführlichen Einleitung und erklärenden Essays
gewährt diese Retrospektive Einblick in einen weniger bekannten aber unendlich fantasievollen
Erzählstrang aus Hokusais über siebzigjährigem Schaffen - vielleicht ein Beweis dafür dass
auch große Meister ihre heimlichen Freuden haben.