Ausgehend von Äußerungen Julio Cortazars legt Viviana Alvarez-Schüller dar dass Tangozitate in
seinem literarischen Werk eine größere Rolle spielen als bislang vermutet. Dank beeindruckender
Tango-Kompetenz nimmt sie den Leser mit auf eine sehr aufschlussreiche intertextuelle
Spurensuche. Dabei erliegt sie nie der Versuchung die Bedeutung des Tangos in Cortázars
fiktionalem Kosmos über Gebühr zu vergrößern. Sie zeigt die ambivalente Haltung Cortázars der
dominanten Populärmusik seiner Heimat gegenüber: Während er sie einerseits kritisch als
effektives Mittel peronistischer Kulturpolitik betrachtet würdigt er sie andererseits als
prägnantes Symbol moderner Argentinität. Eine kritische Sicht des Tangos zeichnet sich vor
allem in seinem Frühwerk ab. In der Erzählung Las puertas del cielo (1951) erscheint er als
Musik der mit monströsen Zügen versehenen cabecitas negras entfaltet aber eine derartige
Wirkung dass er sogar den milieufernen Erzähler in seinen Bann zu schlagen vermag. Gegen die
in manchen Tangotexten geforderte Anpassung an die herrschenden Verhältnisse (no te metas)
wenden sich zwei Gedichte aus der gleichen Werkphase die im Rückgriff darauf zur Trauer über
das Argentinien Peróns animieren. Aber auch noch in der späten Erzählung La escuela de noche
wird der Tango als Lockmittel für eine totalitäre Ideologie verwendet die angesichts
staatlich-militärischer Vereinnahmung des Einzelnen mit Le Peras Silencio Schweigen gebietet.
In Cortßzars späterem OEuvre steht der Tango allerdings auch für die aus räumlicher und
zeitlicher Ferne betrachtete wenn nicht ersehnte Welt von Buenos Aires: Me junta mis dos
mundos bekennt der Pariser Exilant in seinem kaum bekannten Buch Monsieur Lautrec. In einem
der in Salvo el crepúsculo gesammelten und teilweise vom Cuarteto Cedrón vertonten Gedichte
wird etwa die in Mano a mano besungene verlorene Geliebte durch die auf der anderen Seite des
Atlantiks zurückgelassene Privatbibliothek ersetzt. Und in verschiedenen Erzählungen der
siebziger und achtziger Jahre namentlich in El móvil finden Tangozitate Verwendung um auf
den Spuren von Borges dem verschwundenen Sozialtypus des compadrito Gestalt und Stimme zu
verleihen. In Rayuela auch hierin Summe von Cortazars Poetik koexistieren die polemische und
die nostalgische Perspektive. Im Vergleich zum Jazz gewinnt der Tango hier das Profil einer
Musik der unbeweglichen Spießer dient jedoch auch zur Artikulation des Verdrängten etwa wenn
der sich anbahnende Doppelgänger-Konflikt zwischen Oliveira und Traveler in der Gewaltthematik
von La gayola ein musikalisches Echo findet.