Seit ihrer Gründung 1946 war stets umstritten ob die Bildung der SED ein freiwilliger
Zusammenschluss von Sozialdemokraten und Kommunisten in der Sowjetischen Besatzungszone war
oder eine Zwangsvereinigung. Sollte die historische Konsequenz aus der Spaltung der
Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik gezogen werden oder war kommunistisches Machtkalkül
der Motor der zur Gründung der SED führte? Von Historikern und Politikern in beiden deutschen
Staaten wurde dieses zentrale Ereignis der Nachkriegsgeschichte stets unterschiedlich gedeutet.
Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde erstmals ein ungehinderter Zugang zu Quellen aus den
SED-Parteiarchiven möglich so dass im Rahmen der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch zur
Vorgeschichte der SED-Gründung zahlreiche Quelleneditionen und Forschungsergebnisse präsentiert
wurden. Obwohl also die SED-Gründung in ihren Grundzügen mittlerweile als hinreichend erforscht
gelten kann bewegt das Thema nach wie vor die Gemüter und führt zu Kontroversen. Denn die
Frage nach dem Zustandekommen der SED zielt auch darauf ab wer die Verantwortung für den
Ursprung der vierzigjährigen Herrschaft dieser Partei in der ehemaligen DDR trägt. Auch das
Verhältnis von SPD und PDS Die Linke wird hiervon berührt. Geschichte ist eben nicht nur das
Feld des Historikers. Vielmehr bestimmen aktuelle politische Interessen den Kampf um die
verbindliche Deutung vergangener Ereignisse. Deutlich wird dies in Kontroversen um Denkmäler
oder Gedenktage die dem identitätsstiftenden Geschichtsbild der Gesellschaft Ausdruck
verleihen sollen. In diesem Zusammenhang spricht man von Geschichtspolitik. Im Zentrum der
vorliegenden Studie steht nicht primär die Darstellung des historischen Entwicklungsprozesses
der zur Gründung der SED führte. Vielmehr geht es da rum wie das Ereignis der SED-Gründung und
ihrer unmittelbaren Vorgeschichte in der Vergangenheit und in der Gegenwart gedeutet wurde und
wird. Es soll geklärt werden welche Interessen und Motivationen hinter der jeweiligen Deutung
der SED-Gründung als 'Zwangsvereinigung' oder'freiwilligem Zusammenschluss' liegen. Wie wurde
das Thema in der Geschichtsschreibung der alten Bundesrepublik behandelt und politisch
interpretiert? Welche Kontroversen gab es dabei unter Umständen? Wie wurde die SED-Gründung in
der ehemaligen DDR dargestellt und gedeutet? Anhand der öffentlichen Kontroverse die sich 1996
zum vierzigsten Jahrestag der SED-Gründung erneut entzündete wird untersucht welche Rolle die
jeweilige Deutung der Vergangenheit für das Selbstverständnis der politischen Akteure SPD und
PDS hatte. Um den geschichtspolitischen Gehalt der Kontroverse herauszuarbeiten wird hierbei
analysiert welche parteipolitischen Interessen die jeweilige Argumentation bestimmten.